Unwürdige Bürokratie
Der Kaffee roch gut. Dampfend stieg sein Aroma in die Nase, während im Radio schon wieder das gleiche Lied kam. Michael las noch einmal kurz seine Notizen für die Prüfung durch. Er überflog sie nur noch und murmelte einzelne Wortfetzen vor sich hin. Zum wiederholten Mal an diesem Morgen überprüfte er, wann und wo die Prüfung stattfinden würde. Raum 2, dritter Stock, Stiege 7; genau dort, wo auch bis jetzt jedes Mal der Unterricht stattgefunden hatte. Raum 2, dritter Stock, Stiege 7. Daran hatte sich nichts geändert. Michael starrte wieder auf seine Notizen und schritt im Zimmer umher, ohne die Notizen, oder den Raum wahrzunehmen. Ein Gefühl der Beklemmung, das sich schnell in Panik verwandeln wollte, stieg in ihm auf. Er versuchte dieses Gefühl durch hektische Bewegungen wieder in seine Eingeweide zu zwingen und warf den Notizblock gegen die Wand. Zähneputzen, Umhängetasche einpacken. Mit einem Griff außen auf die Hosentaschen überprüfte er das Vorhandensein von Wohnungsschlüssel, Brieftasche, Zigaretten und Handy. Der Zeitpolster, den er sich für die Fahrt zur Uni zurechtgelegt hatte, war zusammengeschrumpft auf ein kleines Zeitkissen. Wieder ging er, nun war er schon beinahe hinter seinem Zeitplan zurück, zum Computer um sich davon zu überzeugen, dass er auch den richtigen Raum aufsuchen würde. Raum 2, dritter Stock, Stiege 7. Hinter sich schloss er ab. Schon im Stiegenhaus steckte er sich mit zitternden Fingern einen Tschick an und während er noch die Schreie des sich aufbegehrenden Nachbarn hörte, fiel hinter ihm die Tür ins Schloss und er war auf der Straße.
Über ihm wurde ein Fenster aufgerissen und wieder bellten der Nachbar und sein Hund hinter Michael her, der zur Antwort noch tiefer an seiner Zigarette zog. Bald stieg er in die überfüllte U-Bahn. Überall diese gesichtslosen Gesichter. Als Michael zufällig den Blick eines anderen U-Bahn Mitfahrers streifte, riss er seine Aufmerksamkeit unverzüglich und beinahe gewaltsam in eine andere Richtung und fühlte sich peinlich berührt. Er hatte sein E-Book in der Wohnung vergessen und versuchte jetzt so auszusehen, als ob er etwas zu tun hätte, indem er sein Handy herausnahm und eine SMS an die erste Person schickte, mit der er so etwas Ähnliches wie eine Konversation haben wollte. „Geh‘ma heut saufen?“ Das brauchte er nach der Prüfung. Einen Rausch und wie immer schien in diesem Moment die Freude auf die im Überschwang verbrachte Zeit unter bekannten Menschen den abgrundtiefen Selbsthass, die Kopfschmerzen und die Tatenlosigkeit des notwendigen Katertages aufzuwiegen. Im Endeffekt kann man sich dann wieder nicht daran erinnern, was einen doch gestern so zum Lachen gebracht hatte und auch die Handynummer, die man von der schönen Fremden bekommen hat, stellt sich unweigerlich als erfunden heraus. Ihm schoss durch den Kopf: wenn ich mir denk, dass ich von so einem angegraben werden würd‘… die Speibe aufm Leibl… Bringt keinen geraden (oder schiefen) Satz mehr heraus nur „Handynummer?!“ und das nur noch nuschelnd. Ja, da gäb‘ ich auch keine echte Nummer her… Aber ich bin einfach zu wenig Arschloch, sonst hätt sich schon eine in mich verschaut.
Er stieg aus der U-Bahn, die Rolltreppe auf der linken Seite hinauf um Zeit aufzuholen, wand sich vorbei an der trägen Masse auf der rechten Seite, bis er hinter jemandem zu stehen kam, der nicht auf Michael aufmerksam wurde. Michael spürte, wie sein T-Shirt immer dichter an seinem Leib klebte und sich in einer schwitzenden Umarmung daran festhielt. Wieder kam die Panik von vorher. Jetzt musste er sich beeilen. Michael hielt sich die Hand vors Gesicht und tat so als müsse er husten. Wenn ich zu spät komm, lässt sie mich sicher nicht mitschreiben, die Arschkordel. Dann muss ich die Übung wiederholen und kann die weiterführende Übung erst übernächstes Semester besuchen und dann brauch ich NOCH ein Jahr länger und dann muss ich überhaupt wieder einen Platz finden, wo ich noch eine Arbeit kriege… Mit meine Noten! Und wer soll mir das Ganze dann noch zahlen und wenn ich dann keinen Beruf finden kann, in dem ich was verdiene, wie soll ich dann jemals die Eine finden, abseits vom scheiß Fortgehn… die mich mag, obwohl ich (kein) Geld hab und überhaupt, wieso muss mir der im Weg stehen?
Die Panik war wieder da und mit ihr kam diesmal ein Schwindel. Michael wollte sich gerade dazu durchringen, die Person vor sich darum zu bitten, auf die Seite zu gehen, als das Ende der Rolltreppe erreicht war. Er ging immer schneller und ihm wurde warm in seiner Jacke. Immer heißer wurde ihm und er begann noch mehr zu schwitzen. Die Umarmung des T-Shirts wurde immer nasser. Dick tropften die Schweißperlen von seinen Haaren. Sein Atem wurde schneller und keuchend betrat er endlich die Universität, rannte die Stiege sieben nach oben in den dritten Stock. Er kam fünf Minuten vor Beginn der Prüfung in den Raum und warf sich und seine Sachen vor und auf den Tisch, an dem er das ganze Semester über gesessen hatte. Neben ihm war Monika, die schon länger dort sitzen musste und jetzt vermutlich mit aller Kraft seinen Schweißgeruch ignorierte. Lieb lächelte sie ihn trotzdem an. Er atmete schwer.
„Hei! Wie geht’s?“ „Gut. Dir?“ Ihr streng gebundener Zopf machte ihn ganz verrückt. „Wie ist es dir beim Lernen gegangen?“- „Ja eh. Dir?“ „Eh auch.“ Sie war von einer Sitznachbarin zum Traum seiner Nächte avanciert. Er hatte über Stunden um Stunden an diesem Platz gesessen, ohne den Mut zusammenzuraffen auch nur ein Wort mit ihr über das „Hallo!“ hinaus zu wechseln und nur durch Glück waren beide in dieselbe Referatsgruppe eingeteilt worden. Die Professorin hatte die Studentenkennzahlen von einem Blatt heruntergelesen und dabei im Raum nach den Leibern gesucht, die zu den Zahlen gehörten. Als sie Michaels Zahl kurz nach Monikas vorgelesen hatte, war ihm warm geworden. Als er sich kurz darauf verschmitzt grinsend zu ihr gedreht hatte, da sah er es. So etwas wie eine leichte Enttäuschung in ihren Augen, während sie auf den Typ vor ihm geschaut hatte. Der, der mit seinen Hosen, heruntergezogen bis in die Kniekehle vor ihm saß und seine Ignoranz als Wappen vor sich hertrug. Der, der immer so scheißfreundlich tat und mit seinen blauen Herrgottsaugen durch den Raum schaute und im Gespräch mit seiner Nachbarin mit den aufgepumpten Armen zeigte, wie man beim Wandern in einer schönen Gegend auf die Szenerie zeigt. Monikas scheinbare Enttäuschung war sofort der gewohnten freundlichen Stille gewichen. Er hatte ihr zugenickt und sie hatte ihm zugenickt. Nach der Stunde hatten sie das Referat besprochen, in seine Einzelteile gegliedert und sich bis vor dem eigentlichen Termin nicht mehr getroffen.
Am Tag nach der Referatszuteilung hatte Michael sich so stark betrunken wie schon lange nicht mehr und ihr um 5 Uhr morgens eine für seine betrunkenen Begriffe unverbindliche SMS geschrieben, die er, in nüchternem Zustand, am nächsten Tag wie zum ersten Mal las. Er hatte Monika gefragt, ob sie nicht einmal einen Kaffee zusammen trinken wollten. Und sie hatte geantwortet, sie habe in absehbarer Zukunft keine Zeit, da terminlich ausgelastet. An diesem Abend ging er wieder in die Stadt und konnte sich am Morgen nicht mehr erinnern, wann er nach Hause gekommen war. Er wusste, was das heißt; "keine Zeit" und "terminlich ausgelastet“.
Die Professorin betrat den Raum; übervoll waren ihre Arme mit den Prüfungsbögen. Zerstreut wie immer begrüßte sie die Studierenden und begann die Tests zu verteilen. Die Panik war weg, Michael ging es gut. Er überflog den Test und wusste zu jedem Punkt eine Antwort. Er begann zu schreiben… und wurde immer ruhiger. Das nervöse Gezwitscher der anderen Studenten vor der Prüfung hatte sich in das Rascheln von Papier und Kratzen der Schreibenden gewandelt. Die Professorin ging durch den Raum. Es klopfte. Die Tür ging auf und herein kam ein kleiner glatzköpfiger Mann, der vergebens versucht hatte, den Rest seiner Haare über den kahlen Skalp zu kämmen. Michael, von der Störung aufgeschreckt und musterte den Kleinen. Er war widerlich. Michael konnte den Blick nicht von ihm wenden, obwohl er zugleich ein beinahe körperliches Unwohlsein empfand. Die Knopfaugen des Zwergs schienen stumpf und dunkel aus dem verschwollenen roten Gesicht und die Wurstfinger umklammerten ein Blatt Papier, während er auf die Professorin zustakste. Sogar das Blatt schien sich vor ihm zu sträuben und sich von seiner Person abwenden zu wollen. Michael schaute sich um, aber außer ihm störte sich niemand an der Gestalt. Die anderen Studenten schrieben weiter und ritzen Zeile für Zeile ihre Antworten in die Blätter. Michael bildete sich ein, die Blätter würden schreien. In seinen Ohren hörte es sich an, als brüllten sie den krummen Mann an. Er solle verschwinden, schrien sie. Mit jedem Kratzen auf dem Papier brüllten sie ihre Abscheu über den Neuankömmling in den Raum und Michael war, als würden die anderen Studenten schadenfroh grinsen, während sie weiter ihre Botschaften in das schreiende Papier kratzten. Die Professorin hingegen war nicht wirklich über die plötzliche Störung überrascht. Der kleine Widerling flüsterte ihr etwas ins Ohr und während er dies tat, deutete er auf Michael. Die Professorin winkte Michael zu sich. Wieder wurde ihm heiß. Er stand auf und ging auf die beiden zu.
„Sie müssen mitkommen. Nehmen Sie ihre Sachen mit“, sagte die Fratze. Sogar die Art, wie der kleine Glatzkopf sprach, ekelte Michael an. Es war, als würde Jauche stinkende Blasen werfen und der Speichel spritze in großen Tropfen aus dem Maul der Kreatur. Michael blickte fragend zur Professorin. „Sie können mir eine Mail schreiben und mit mir einen neuen Termin ausmachen.“ Er wusste nicht, warum er jetzt aus der Prüfung sollte. Er kämpfte einen kurzen Moment mit sich und fragte sich ob er etwas sagen solle, dann ging er zu seinem Platz und griff seine Sachen. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und übersprang mit einem gewaltigen Satz seinen verletzten Stolz, indem er „Viel Glück“ Richtung Monika flüsterte, die es ihm mit einem Nicken abgalt. Vielleicht hatte er ja doch noch eine Chance bei ihr.
Er folgte der Fratze aus dem Raum. „Wohin wollen Sie mit mir?“ „Zum Rektor.“ Michael war noch nie beim Rektor gewesen. Er fragte sich, was er dort wohl zu suchen habe. Die Beiden gingen durch die großen glatten Marmorhallen. Der kleine stakste voran und machte bei jedem Schritt den Eindruck größter Hast und doch musste Michael sich bemühen, ihn nicht zu überholen. Irgendwie war das Männchen ganz und gar verkorkst. Im Vorbeigehen winkte er kurz mit dem Zettel, den er immer noch umklammert hielt, in die Richtung einer Person am anderen Ende der ehrwürdigen Hallen. Michael sah auf diese Distanz nur einen kleinen Mann mit Glatze, aber irgendwie schien ihn die gleiche abstoßende Aura wie ein Gestank zu umwabern, die auch rund um seinen Glatzkopf in der Luft hing. Der zweite Winzling winkte mit einem Zettel zurück und verschwand aus dem Blickfeld.
Die sonst mit Leben erfüllten Hallen waren leer. Das große Gebäude, das von vergangenem Wissen und großen Persönlichkeiten zu Michael gesprochen hatte, das ihn eingeladen hatte, es denen nachzutun, die hier Geschichte geschrieben hatten, eben diese Mauern waren nun kalt für ihn und abweisend. Sie sprachen von Distanz, einer unüberwindbaren Kluft. Das Echo seiner Schritte tappte ihnen nach, auf dem Weg ins Rektorat. Vor der übergroßen Tür blieben sie stehen. Der Glatzkopf drehte seine Fratze zu Michael, befahl ihm zu warten und drückte ihm den Zettel in die Hand, während er wieder den Gang entlang davonzappelte. Michael griff nach dem Blatt Papier und war erleichtert. Er hatte beinahe Mitleid mit dem Blatt gehabt, während es der Kleine umklammert hatte. Er freute sich darüber, den Zettel aus den Griffeln dieses Widerlings zu wissen und den Wicht nicht mehr in seiner Nähe zu haben. Er starrte auf das Blatt. Es war leer, bis auf eine Nummer, die Michael als seine Studienkennzahl erkannte. Er starrte weiter auf den Zettel. Die Zahlen lachten ihn an. Von ihnen ging eine Faszination aus, die weiter strahlte, als die Kälte der Hallen um ihn. Die Zahlen sprachen von ihm und er fühlte, als wären in diesen paar Ziffern die Geheimnisse seiner Existenz greifbar. Er starrte auf den Zettel. Diese Nummern sprachen von den Vögeln, die er als Junge von seinem Zimmer aus beobachtet und gefüttert hatte. Sie sprachen von einer Träne, die er vor kurzem versteckt hatte, als er vom Tod seiner geliebten Katze erfahren hatte und sich kindisch vorgekommen war und auch von etwas, das noch nicht greifbar war und doch schon vor ihm stand. Diese Zahlen, dass wusste er jetzt, waren der Schlüssel zu seiner Vergangenheit, seiner Zukunft und seiner Gegenwart.
Er starrte immer noch auf den Zettel als die Tür aufging und Michael bemerkte die Entwicklung im ersten Moment gar nicht. Man sprach ihn an, mit seinem Namen, doch dieser schien ihm fremd. Endlich sprach man ihn mit der Ziffer an, die ihm so viel bedeutete und er erkannte sich in ihr wieder. Michael fuhr aus seinen Gedanken, presste den Zettel an seine verschwitzte Brust und ging durch ein Vorzimmer, komplett mit Sekretärin und Topfpflanzen, in das Rektoratszimmer. Hinter einem großen Schreibtisch saß dort ein kleiner Mann. Der Mann trug eine Brille und einen Anzug. Er erschien sehr gepflegt und wirkte, als wäre er direkt von der Homepage der Universität gekommen, um sich dieser Angelegenheit anzunehmen. Der Raum roch steril und auch der Mann schien keinen merklichen Geruch abzusondern. Michael drang nun peinlich penetrant sein eigener Schweißgeruch in die Nase und er begann nur noch stärker zu schwitzen. „Sie sind Student Nummer 1206568?“ Michael wiederholte die Nummer langsam überprüfend in Gedanken und er fühlte sich, als hätte endlich jemand einen Namen gefunden, der zu ihm passt. Er war bisher wie eine Katze gewesen, die man zuerst Missy nennt, bevor man erkennt, dass es sich eigentlich um einen Kater handelt und sie umbenennt. Er fühlte sich, als hätte dieser Mann in ihn gegriffen, ihn gerüttelt, gezerrt, um als Essenz seines Wesens eben diese Zahl hervorgehoben zu haben. Er nickte. Mehr brachte er nicht fertig. Der Mann zeigte auf einen Stuhl und Nummer 1206568 setzte sich. „Ich habe die Aufgabe, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Studium hiermit beendet ist.“
Nummer 1206568 zuckte und ein Gefühl der Panik stieg auf. Die soeben gewonnene Sicherheit, in Form einer endlich fix festlegbaren Identität, war weg. Nummer 1206568 sah den Mann fragend an, während heißer Atem aus ihrem Mund strömte. „Sie haben doch im Onlinesystem auf den ‚Abmelden‘ Button in der rechten UNTEREN Ecke des Bildschirms geklickt?“ Bestätigendes, eingeschüchtertes, Nicken, das zum Fortfahren auffordert. “Das ist der Knopf mit dem sie sich vom Studium abmelden. Der Log-out Button in der rechten OBEREN Ecke des Bildschirms hätte sie von der Onlinesitzung abgemeldet. Sie können in drei Jahren wieder um einen Studienplatz ansuchen, allerdings würde ich Ihnen von solchen Vorhaben abraten. Sein Sie lieber froh darüber, sich überhaupt so lange in unserer Institution gehalten zu haben.“
Die Anhäufung von Zahlen, der Haufen, der sich 1206568 nannte, der immer noch in seinem ganzen Wesen erschüttert war, saß da und konnte nichts sagen. Er starrte nur und die Luft im Raum wurde immer steriler und der Schweißgeruch wurde immer penetranter und das Gefühl, sich so schnell wie möglich mit dem Zettel auf den Weg zu machen, wurde immer drängender.
„Geben Sie mir den Zettel.“, verlangte der Mann. Nummer 1206568 konnte sich nicht bewegen und in den schwitzenden Händen begann der Zettel- auf dem ihr ganzes Wesen so eindrücklich dargestellt war, aufgeschlüsselt in so einfacher Weise- immer feuchter und feuchter zu werden. „Warum?“, flüsterte Nummer 1206568. „Warum?“, fragte der Mann verdutzt, als habe er mit Allem, nicht aber mit dieser Frage gerechnet. Er schien geradezu wütend über die Banalität dieser Frage. „Warum wohl? Geben Sie mir den Zettel. Er ist Eigentum der Universität und hat nichts in Ihren schmutzigen Klauen verloren. Sie haben genug unserer Ressourcen und Zeit in Anspruch genommen.“ Nummer 1206568 starrte immer noch auf den Zettel. Sie weigerte sich und umklammerte immer noch das Blatt; ihr Blatt. Der Zettel war sie, sie war der Zettel, die Nummer; sie durfte nicht loslassen. Immer fester knüllten die Hände das Blatt, das durch den Schweiß nass und dünn geworden war. „Was bildest du dir ein?“ Der Mann schien immer wütender zu werden. Seine Augen strahlten eindringlich hinter der Brille hervor und verlangten nach Gehorsam. „Diese Universität hat Menschen hervorgebracht, von deren geistiger Größe du dir mit den bescheidenen Kapazitäten deines kleinen Hirns noch in hundert Jahren keine Vorstellung machen könntest; Menschen, die man nicht mehr Menschen nennen darf. Diese Universität bildete Köpfe, die über die Leben von vielen Tausenden entschieden haben; die immer noch entscheiden. Diese Universität war eine Zuchtstätte für Genies. Die Menschen, die hier eintraten, traten als Götter der Wissenschaft aus diesen ehrwürdigen Hallen wieder hervor. Kein Mensch kann diesen Göttern die Ehrfurcht zollen, die ihnen gebührt. Und du, du Wurm, glaubst, dich hier einreihen zu können, ohne in dieser Reihe zertreten zu werden? Du glaubst, dass du die Zeit wie sie überstehen kannst? Du bist nicht würdig, dass du einkehrst unter dieses Dach! Diese Hallen sind heilig und du, du wagst es, sie mit deinen Füßen zu entweihen.“
Der Mann war immer größer geworden, doch hatte er seine Brille und viele seiner Haare verloren. Nur ein paar letzte Büschel klammerten sich noch an den Kopf, der immer größer gen Decke wuchs. Er griff in eine Schublade des Schreibtisches und holte einen Kamm, mit dem er sich die wenigen Haare über den kahlen Kopf kämmte. Der Kahlkopfkämmkamm sah mit seinen scharfen, übergroßen Zacken gefährlich aus. Der Riese schwang ihn mit spielerischer Leichtigkeit durch den Raum und über Nummer 1206568s und seinen Kopf. Immer tiefer schwirrte der Kamm durch den Raum, bis sich Nummer 1206568 bücken musste und so schnell wie möglich Richtung Tür kroch. Sie umklammerte immer noch den Zettel, sprang auf den letzten Metern auf und spürte, wie die Zacken in ihren Rücken bissen. Sie riss die große Tür auf, rannte durch Hallen, die unergründliche Geheimnisse unverständlich in ihre Ohren brüllten und stürzte Hals über Kopf über marmorne Treppen hinab.