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Der Lehrermangel

  • alrasumofsky
  • 28. März 2024
  • 23 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 21. Apr. 2024

((Vorab soviel: Ich habe diesen Blogbeitrag vor dem Sommer geschrieben, als ich selbst in einer großen Sinnkrise bezüglich meines Berufs steckte. Seither bin ich in einer anderen Schule und es geht mir dort bedeutend besser. Nur glaube ich, dass er trotzdem noch einen guten Überblick über das Thema verschaffen kann und die Punkte haben sich nicht geändert, sie sind an meiner jetzigen Schule nur nicht so stark ausgeprägt. So ist zum Beispiel die Wertschätzung meiner Tätigkeit als Musiklehrer gegenüber um einiges höher, da es sich um eine Schwerpunktschule handelt. Andere Aspekte bleiben gleich und wenn man den Lehrermangel verstehen will, dann sind die Punkte alle weiterhin valide. In diesem Beitrag habe ich mir den Frust von der Seele geschrieben. Ich plane auch einen längeren Beitrag über die Vorteile des Berufs und eine kurze Synthese von einem Leher:innenberuf mit Zukunftsfähigkeit. Falls euch das interessiert, lasst es mich wissen. Jetzt aber zurück zum Lehrer:innemangel))


Der Mangel scheint plötzlich gekommen zu sein und die Politik, sowie die Gesellschaft in Österreich und Deutschland völlig unerwartet getroffen zu haben. Wer hätte damit rechnen können, dass dieser scheinbare Traumberuf, bei dem man doch, wenn man dem ehemaligen Wiener Bürgermeister glauben darf, am Dienstag zu Mittag bereits mit der Arbeit fertig ist, so unattraktiv sein könnte? Der Beruf, bei dem man doch nur auf Kinder aufpassen, und die Fehler der eigenen Lehrer:innen nicht wiederholen muss? Die Lehrer haben doch sowieso nichts zu tun und dazwischen Ferien, so fasse ich kurz die allgemeine Meinung gegenüber meiner Zunft zusammen. Aber warum finden sich dann keine Leute mehr für diesen Beruf? Hier mein Versuch einer Erklärung (für die, die es nicht wissen, ich bin selbst Lehrer und mittlerweile seit viereinhalb Jahren in diesem Beruf tätig).

Kurz ein paar Infos vorweg (wenn ihr euch schon mit dem „alten“ und „neuen“ Dienstrecht auskennt, dann könnt ihr diesen Teil überspringen und zu Punkt 1 weitersausen)

Zum Verständnis des folgenden Blogbeitrags ist es wichtig zu wissen, dass es einen großen Unterschied zwischen dem „alten“ und „neuen“ Dienstrecht für Lehrer:innen gibt. Alle, die mit einer fertigen Ausbildung ab dem 1.9.2019 in den Schuldienst getreten sind, dienen als Pädagog:innen im neuen Dienstrecht. Hier die wichtigsten Konsequenzen dieser Veränderung:


1.: Stunden werden 1 zu 1 abgegolten und verrechnet. Im alten Dienstrecht war es noch so, dass z.B. eine Englischstunde, oder eine Deutschstunde eine höhere „Gewichtung“ hatte als eine Musikstunde. Eine Deutschstunde war z.B. mit 1,167 Werteinheiten bewertet, während andere Fächer mit einer geringeren Werteinheit verbucht wurden (z.B.: Musik: 0,955, Bildnerisches Gestalten: 0,913, Chor/ Darstellendes Spiel/ Freie Rede/ Instrumentalmusik: 0,875) Korrekturfächer werden im neuen Dienstrecht mit 24€ pro Wochenstunde abgegolten. Bei 4 Englischstunden sind es also ca. 100€ die man Brutto zusätzlich verdient.

2.: Man steigt zwar mit einem höheren Einstiegsgehalt ein, allerdings steigt man seltener in der Gehaltsstufe auf (nur alle 5-6 Jahre statt wie bisher alle 2 Jahre) und die Gehaltskurve flacht nach hinten ab. Auf die ganze Dienstzeit gerechnet sind es ca. 100.000€, die man weniger verdient als im alten Dienstrecht bei voller Lehrverpflichtung (hier eine Übersichtstabelle, für alle, die sich das genau durchlesen wollen: file:///C:/Users/marte/Downloads/Wahl-l1-lpd-2015.pdf).

3.: die Lehrverpflichtung wurde angehoben, von 20 Wochenstunden, auf 22 + 2 Stunden. Davon sind 22 Stunden in der Klasse als Unterricht zu halten und die ominösen „+2“ Stunden werden als zusätzliche Tätigkeiten verbucht. Hierrunter fällt zum Beispiel die Tätigkeit als Klassenvorstand, die im alten Dienstrecht noch bezahlt wird, oder „Maßnahmen zur Qualitätssicherung“ an der Schule (Ich kenne allerdings auch jemanden, der sich in dieser Zeit um die Pflanzen in der Schule kümmert).

 

Nun aber zu den Punkten, die meiner Meinung den Lehrermangel mit verursachen:


1.     (Frei)zeit.

Freizeit ist im Lehrberuf, ein Segen und ein Fluch zugleich. Gleich vorweg: die Ferien sind DER unbestrittene Bonus in diesem Beruf. Zusammen mit der Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie sind sie einer der größten Pluspunkte des Lehrer:innendaseins. (Wo kann man sich seinen Urlaub noch so einteilen, dass man immer mit den eigenen Kindern zugleich Urlaub hat?). Es stimmt, dass man sich seine Arbeitszeit außerhalb des Regelunterrichts, bis zu einem gewissen Grad selbst einteilen kann. Ich kann mich selbst dafür entscheiden, wann ich meine Schularbeiten und Hausübungen korrigiere, doch was einem niemand sagt, ist wie viel Aufwand das ist, wenn man seine Arbeit ordentlich erledigen will. Dazu eine kurze Rechenaufgabe: Eines meiner Fächer ist Englisch und gottseidank habe ich nur eine Klasse, die ich in diesem Fach unterrichte. Wenn ich dieser Klasse im Schnitt einmal in der Woche eine schriftliche Hausübung gebe, und eine Wiederholung der Vokabel ansetze, ist das für mich das Minimum dessen, was ich von meinen Schüler*innen verlangen sollte, damit sie mit Ernst bei der Sache bleiben und regelmäßig Rückmeldung über ihre Fortschritte erhalten. Bei einer durchschnittlichen Klassenstärke von 25 Kindern rechne ich hier mit 10 Minuten pro Person einmal pro Woche. Damit komme ich alleine mit der Korrekturarbeit für eine Klasse auf ca. 4 Stunden. Das heißt, pro Woche kann ich für diese eine Klasse (wenn ich keine Vorbereitungsarbeiten einbringe) damit rechnen, 8 Stunden aufzuwenden. Hier sprechen wir allerdings von EINER Klasse und noch dazu von einer Unterstufenklasse. In der Oberstufe kann man damit rechnen, dass sich der Arbeitsaufwand verdoppelt, also ca. 12 Stunden für diese eine Klasse aufzuwenden sind, wenn ich mir alle Texte regelmäßig anschauen will. Jetzt habe ich aber nicht nur diese eine Klasse, sondern mit einer vollen Lehrverpflichtung in Englisch allein wären es, mit dem neuen Dienstrecht 5-6 Klassen. Also komme ich, bei einer vollen Lehrverpflichtung auf durchschnittlich 50 Stunden Arbeit pro Woche, wobei die Schularbeiten, die bei weitem mehr Korrekturaufwand bedeuten, noch nicht mitgerechnet sind. Wir sprechen also von einem 50 Stunden Job mit unbezahlten Überstunden. (So viel zum Thema Freizeit).

Natürlich kann man seinen Beruf auch anders angehen… man kann „ressourcenschonend“ arbeiten und keine Hausaufgaben geben, oder diese nicht korrigieren. So kommt man auf seine 24 Stunden in der Schule + die Sachen die zwischenzeitlich eben anfallen. Darunter leidet dann zwar der Unterricht und der Fortschritt der Schüler*innen, aber das könnte einem ja auch egal sein. Natürlich ist man auch besonders blöd, wenn man „nur“ ein Hauptfach unterrichtet (dazu aber mehr unter Punkt 3).


2.     Mehrleistungen werden nicht belohnt; im Gegenteil.

Immer wieder kommt es in der Schule vor, dass jemand auf dich zukommt und fragt: „Magst du nicht [hier unbezahlte, sehr zeitintensive Aufgabe einsetzen] übernehmen?“ (Beispiele aus meinem Musikalltag beinhalten: Chorprobenwochen/ Probentage/ Musicalaufführungen/ Konzerte, aber darunter fallen auch Sachen wie Personalvertretung, Schulqualitätsmanagement, das Amt des/der Brandschutzbeauftragten und, und, und…). Auch hier trifft leider wieder zu, was oben angeführt wurde. Wenn ich z.B. ein Musical mit den Schüler:innen einstudiere und diese Tätigkeit im Rahmen meiner Chorstunden mit 2 Stunden pro Woche abgegolten wird, kommt das niemals auch nur in die Nähe der Stundenrealität (für die letzte Musicalproduktion waren es 87 zusätzliche Unterrichtsstunden, die im Stundenplan bei mir vermerkt waren, wobei fairerweise nicht alle in meine unterrichtsfreie Zeit fielen. Bei einigen dieser Stunden hätte ich in dieser Zeit Unterricht gehabt, den ich stattdessen nicht halten musste, sondern nur für jemand anderen vorbereiten und dann nachbereiten. Wirklich „zusätzlich“ waren nur 57 dieser Stunden.)

Überstunden dieser Art werden mit ca. 7€ für 5-8 Stunden bezahlt (insgesamt und nicht pro Stunde). Ja du hast richtig gelesen, sie werden faktisch nicht bezahlt (mein Dank für die Musicalproduktion waren ein Strauß Blumen und 3 Schachteln Pralinen; eigentlich illegal, denn wir dürfen keine Geschenke entgegennehmen). Anstatt Anerkennung von den Kolleg:innen zu bekommen, musste ich mir Großteils anhören, dass die Kinder nicht noch abseits von Mathematik, Deutsch und Englisch überfordert werden sollten und dass wir zwar Schwerpunktklassen hätten, nicht aber ein Gymnasium mit einem Schwerpunkt wären. Die Kinder würden außerdem zu oft im Unterricht fehlen. Man wird also nicht nur nicht für die Zusatzarbeit belohnt, sondern das Kollegium beschwert sich zum Teil noch darüber, dass man sich die Arbeit antut und mit den Kindern ein Musical einstudiert. Warum das so ist, verstehe ich selbst nicht ganz und kann nur die Vermutung anstellen, dass Initiative von einigen Kolleg:innen vielleicht als indirekter Vorwurf verstanden wird (á la: warum machst du nicht mal was?). 

Genauso wenig werden Kolleg:innen bestraft, die nur „Dienst nach Vorschrift“ oder noch weniger machen. Einer meiner Kollegen zeichnet sich z.B. dadurch aus, immer wieder in Englischstunden mit den Kindern Basketball zu spielen. Ein anderer, der mittlerweile in Pension ist, schaute jeden Freitag mit den Kindern im Biologieunterricht Katzenvideos an. Diese Leute sind genau diejenigen, die es dann ins kollektive Gedächtnis schaffen und die öffentliche Diskussion prägen. Man versteht den Frust in der Bevölkerung, allerdings schafft das System keine Anreize, mehr als nur Dienst nach Vorschrift zu machen.


3.     Fächerkombinationen.

Ich wusste vor Antritt meines Studiums nicht, wie viel Mehraufwand ein Korrekturfach (z.B. Deutsch, Englisch, Mathematik) bedeutet. Naiv dachte ich: „Studiere doch die Fächer, die dir selbst gefallen und die dich interessieren“. Nicht bedacht hatte ich Schularbeiten, Hausübungen und Vorbereitungen. Wer ein Hauptfach unterrichtet, auf den kommt viel Korrekturarbeit zu. Erst vor kurzem habe ich mit einer Kollegin gesprochen, die von sich behauptet, nie unter 50 Arbeitsstunden durch die Woche zu kommen und nur ca. die Hälfte ihrer Lehrverpflichtung besteht aus diesen sogenannten Korrekturfächern (außerdem ist sie im alten Dienstrecht und hat dementsprechend ihre volle Lehrverpflichtung bereits mit 18 in der Klasse gehaltenen Stunden erreicht, obwohl sie mit 21 Stunden auch „übervoll“ ist). Wer hingegen Turnen und Werken unterrichtet, muss zwar mit einer erhöhten Lärmbelastung klarkommen, und damit, keinen „Notenhebel“ zu haben, hat aber keine Korrekturen oder Ähnliches zu leisten. Im alten Dienstrecht waren diese Unterschiede im unterschiedlichen Stundenausmaß widergespiegelt, das man brauchte, um eine volle Lehrverpflichtung zu erreichen. Mittlerweile kriegt man, wenn man ausschließlich Korrekturfächer unterrichtet, ca. 574€ mehr (wohlgemerkt Brutto) (https://www.oeliug.at/2018/01/17/umfassende-information-zum-neuen-dienstrecht-f%C3%BCr-lehrer-innen-stand-2018/).

Ob das den Aufwand allerdings wert ist, wage ich zu bezweifeln. Vor kurzem habe ich zum Beispiel gehört, dass meine Direktorin Neueinsteiger*innen von einer vollen Lehrverpflichtung mit Korrekturfächern abraten würde, da sich die jungen Kolleg:innen ansonsten direkt in ein Burnout arbeiten würden. Auch ich bin sehr froh, dass ich neben meinen Korrekturfächern mit Musik ein Fach habe, das weniger Vor- und Nachbereitungsaufwand bedeutet. Ich kann mir im Moment den Workload von 22 Deutsch-, oder Englischstunden bei ca. 25 Kindern pro Klasse gar nicht vorstellen.


4.     Die Elternarbeit:

Ich arbeite noch nicht ewig in diesem Beruf, allerdings habe ich bereits eine Tatsache bemerkt, die vor allem die älteren Kolleg*innen stört: Die Eltern sind immer auf Seite der Kinder, selbst wenn diese sich vielleicht tatsächlich wie der Inbegriff von pubertären Monstern verhalten haben, oder sie haben die eigenen Kindern schlicht nicht mehr im Griff.

Ein Beispiel: eine Schülerin in einer zweiten Klasse (11 Jahre alt) schickt eine Nachricht vom Skikurs an eine andere Schülerin, die zuhause geblieben ist und bezeichnet sie darin als „Taliban“ und „blöde Bitch“. Sie rechtfertigt die Nachricht daraufhin mit den Worten: das war nur ein „Dare“. Ich war selbst nicht mit auf diesem Skikurs und erfahre davon, weil die beschimpfte Schülerin zu mir kommt und sich bei mir darüber beschwert. Jetzt ist die beschimpfende Schülerin genau diejenige, die auf anderen Ausflügen bereits dadurch aufgefallen ist, dass sie andere Kinder zum Schauen von Pornos angestiftet hat. Nachdem ich die Handys abkassiert hatte, hatte ich wenigstens beim damaligen Ausflug Ruhe.

(Obwohl auch dieser Schritt problematisch war, da ich mich damit in einem Graubereich befand: Was ist, wenn etwas mit dem Privateigentum der Schüler:innen passiert, während ich darauf aufpasse? Umgekehrt: Was ist, wenn ich nichts tue und die Eltern davon erfahren, dass ihre Kinder auf den Schulausflügen Pornos schauen und der Lehrer nichts unternimmt? Auch daraus ergeben sich Probleme; ich hatte also nur die Wahl zwischen zwei schlechten Optionen).

Nachdem ich nun aber bei diesen Skitagen selbst nicht dabei war, überließ ich dem Team vor Ort selbst die Wahl, wie sie mit dem Kind umgehen sollten und informierte die Mutter über die Nachricht, die ich in der Kategorie Cyber-Bullying verbuchte. Die Lehrer*nnen vor Ort stellten das Mädchen zur Rede, das daraufhin in Tränen ausbrach.

Als Reaktion darauf kündigte sich die Mutter des Mädchens wutschnaubend für den nächsten Tag zu einem Gespräch mit mir in der Schule an. Am Abend vor diesem Gespräch kam es dann noch zu einem weiteren Vorfall: Das Zimmer, in dem das besagte Mädchen nächtigte, fiel auf, weil eines der Mädchen auf ein Dach kletterte (laut eigenen Angaben, weil sie dort besser Luft bekam) und ein Hocker und Müll aus dem Fenster geworfen wurde. Auch hier wollten die Mädchen nichts mit der Sache zu tun gehabt haben. Alles sei ein Missverständnis.

Als die Mutter am nächsten Tag bei mir in der Schule aufschlug und mich damit konfrontierte, wie ungerecht und überzogen unsere Vorgehensweise wäre und dass ihre Tochter nun ungerechtfertigterweise von den Lehrer*innen vor Ort in ein Kreuzverhör genommen worden wäre, glaubte ich zuerst, ich sei im falschen Film. Auch auf den Vorwurf, dass die Tochter Müll auf das Vordach geworfen habe, reagierte die Mutter mit einem Gegenangriff und mit Abweisung der Schuld auf eine andere Schülerin. Die Mutter wollte keinerlei Fehlverhalten der eigenen Tochter einsehen. Im Gegenteil verlangte die Mutter eine Erklärung von mir: ich habe nicht ausreichend reagiert, als die Schuhe ihrer Tochter vor einiger Zeit in der Schule abhandengekommen waren. Außer einer Mail aus der Direktion habe niemand mit ihr Kontakt aufgenommen. Als ich daraufhin sagte, ich hätte nicht genantwortet, weil bereits in erster Instanz meine Chefin eingeschalten worden war und diese bereits die Anfrage beantwortet hätte, kam die Frage, wie man so etwas nur zulassen könne. Die Schule sei doch ein „sicherer Ort“; eine geschützte Werkstatt. Ein Platz, an dem so etwas nicht passieren dürfe. Ich fragte dann, was die Frau sich von einem öffentlichen Gebäude erwarte und ob sie auch eine Ersatzforderung von einer Bibliothek verlangen würde, wenn jemand ihrer Tochter dort eine Geldbörse stiehlt… Den Rest des Gesprächs erspare ich der Leserschaft. Soviel sei nur gesagt: diese Form der Auseinandersetzung gehört zum Alltag als Lehrer:in.

Im letzten Jahr vergab ich einen einzigen 5er in Englisch an ein Kind, das bereits in zwei anderen Fächern eine negative Beurteilung im Zeugnis hatte. Ich hatte die Eltern bei einem Gespräch, bei dem auch eine andere Kollegin anwesend war, über diesen Fünfer informiert. Daraufhin kam es zu einer Beschwerde bei meiner neuen Chefin, da ich die Eltern angeblich doch nicht über die negative Note informiert hätte und mich in den anderen Fächern nicht genug für das Kind eingesetzt hätte. Ich war im Endeffekt sehr froh über die Anwesenheit meiner Kollegin beim Gespräch, da ich sonst ohne eine Zeugin dagestanden wäre. Seither gehe ich noch viel vorsichtiger in Elterngespräche.

Prinzipiell ist also zu beobachten, dass wir als Lehrer:innen hier auf verlorenem Posten kämpfen. Die Eltern sehen uns oft in der Rolle des Dienstleisters, der die Kinder durchzuwinken hat und keine Probleme machen soll. Alles andere wird nicht geduldet und über den Familienanwalt geregelt.


Eltern schimpfen mit Kind und dann mit Lehrer

5.     Die Bürokratie:

Zum Dienst der Lehrer:innen gehört mittlerweile ein unglaublicher Haufen an Bürokratie. Schularbeits-Statistiken, ständiges Führen von Listen über Anwesenheiten der Schüler:innen, protokollieren des Stundenstoffes, und und und. Auch Lesetestungen und andere standardisierte Tests müssen durchgeführt und genau dokumentiert werden. Man muss innerhalb von genau festgelegten Fristen festhalten, warum jemand gefehlt hat, fehlenden Entschuldigungen nachlaufen und nachtelefonieren, die Anzahl der Fehlstunden dokumentieren und in ein Computersystem eintragen. Ausflügen und andere Aktivitäten muss man zuerst planen, dann muss man das Geld einsammeln, verwalten und Rückzahlen, wenn einzelne Schüler:innen spontan fehlen. Dazu kommen Listen für die Sommerschule, Spindschlüssel, Freigegenstände, Unverbindliche Übungen, Feedbackbögen, Datenschutzerklärungen, und vieles mehr. Der Prozess der Vervollständigung einer Liste dauert erfahrungsgemäß mindestens eine Woche. Es dauert eben alles seine Zeit, bis alle Schüler:innen endlich auch den letzten Zettel mitgebracht haben, oder schlicht anwesend sind, da ja immer wieder der eine oder die andere krank ist.

Diese Aufgaben werden dann erledigt und dazu kommt, dass die übergeordnete Instanz, die Bildungsdirektion so unfähig und unterbesetzt ist, dass es einen zum Verzweifeln bringen kann. Bei Anfragen wird man im Regelfall angeschnauzt, außer man trifft zufällig auf eine der wenigen kompetenten Personen, die kurz vor der Pension stehen und deren Posten nicht mehr nachbesetzt wird, weil die Stelle zu teuer ist. Überstunden, Fächerzulagen und Mehrdienstleistungen werden Monate im Nachhinein ausbezahlt und die Anrechnung von Vordienstzeiten kann Jahre dauern.

Die erste Anmeldung für eine freie Stelle in einer Schule, die ebenfalls über die Bildungsdirektion abgehandelt wird, ist ebenfalls beinahe unmöglich. Man gerade in den ersten Dienstjahren immer wieder hart um seine Stelle kämpfen. Die Leute, die für die Zuteilung der Dienstplätze verantwortlich sind, genießen es zwischen den Schulleitungen und Lehrer*innen zu sitzen und die Stellhebel zu blockieren. Am einen Ende heißt es dann: „Wir haben keine Lehrer mehr für Musik (nur ein Beispiel)“, während Bewerber:innen für eben dieses Fach zu hören bekommen, dass es keine Stellen gibt. Wie ich aus Anekdoten weiß, sitzen an diesen Stellen immer wieder Menschen, die diese Position genießen. Sie verweigern Leuten, die zu oft nachfragen, oder ihnen irgendwie nicht zu Gesicht stehen, die Auskunft und Dienststellen und Direktor:innen, die zu schlecht vernetzt sind, oder das falsche Parteibuch haben, können die Stellen nicht besetzen. Das alles läuft soweit, dass man als Lehrer:in viel leichter einen Posten über Facebook, oder über Bekanntschaften bekommt, als über die Bildungsdirektion.

Ein Freund erklärte mir diesen Umstand wie folgt (es handelt sich um eine weitere Anekdote, aber ich kann mir diese Erklärung sehr gut vorstellen):

Es war einmal vor langer Zeit in der Bildungsdirektion so, dass Leute aus allen Abteilungen, wenn es zur Zuteilung der Lehrer*innen kam, zusammenhalfen um gemeinsam zur Zeit, in der die Arbeit am intensivsten war, die Leute für die Schulen einzuteilen. Eines Tages aber kam der Rechnungshof, um zu sparen und sagte: „Warum sind diese Leute zur Zeit der Lehrer:innenzuteilung in ihren Abteilungen abkömmlich? Wenn die dort einfach so verschwinden können, heißt das, dass sie überhaupt nicht dort gebraucht werden! Also können wir diese Stellen einsparen und die viel zu teure Administration etwas abspecken“. Die Bildungsdirektion aber hörte von diesem Vorhaben und sagte: „Nein! Halt! Diese Leute waren nur zufällig in einer Pause da. Eigentlich brauchen wir sie immer in ihren Abteilungen!“ Seither dürfen die Leute aus anderen Abteilungen nicht mehr bei der Zuteilung der Lehrer:innen helfen und müssen stattdessen ständig sinnlose Berichte über irgendwelche Schularbeitsstatistiken oder Schulausflüge verfassen. Und wenn sie nicht gestorben sind, protokollieren sie noch heute.

In diesem Strudel von sich ständig ändernden Formularen und immer neuen Onlineeingabesystemen in die man sich wieder neu einarbeiten muss geht viel Zeit drauf, die eigentlich für das Kerngeschäft (Unterricht) da sein sollte und auch daran verzweifeln viele.

 

6.     Das Bild des Lehrberufs in der Gesellschaft 

Es war während meiner Zeit auf der Uni als mir in einer Lehrveranstaltung mitgeteilt wurde, welchen Anspruch man an die zukünftigen Lehrpersonen erhob. Ein Professor stellte uns ganz stolz einen Zeitungsartikel aus einer Hamburger (oder Berliner) Zeitung über eine dortige Brennpunktschule vor. Man las von einem Lehrer, der zu jeder einzelnen der schwierigen Familien in seiner Klasse kam, um einmal mit ihnen zu frühstücken und sie so besser kennenzulernen. Unser Professor wollte uns damit zeigen, dass man durch Einsatz und Willen immer Möglichkeiten finden kann, auch mit schwierigsten schulischen Ausgangslagen zurecht zu kommen. Ich allerdings fand damals schon, dass dieser Zugang höchstens geeignet war, um 25 Mal gratis zu Frühstücken.

Dieser Artikel verdeutlicht für mich das Bild, das die Lehrer:innenbildung von unserem Beruf hat. Wir alle sind verkappte Heilsbringer.

Ich halte wenig von übermäßiger Verbrüderung mit den Schüler:innen. Ich finde, es sollte eine klare Grenze zwischen den Schüler:innen und mir als Lehrer geben. Genau dieser Anspruch, eine Art kleiner Ersatz-Messias zu sein, ist an vielem Schuld und verwirrt alle Beteiligten mehr als er guttut. Wenn ich den Kindern zum Beispiel klare Verhaltensgrenzen aufzeige oder sie benote, tue ich das aus einer übergeordneten hierarchischen Position und nicht aus der Position als „Lernbegleiter“ oder als „Kumpel“, denn diese Aufgaben passen nicht zur Rolle des Kumpels. Es gibt wenige Lehrer:innen, die es wirklich gut schaffen, eine freundschaftliche Ebene mit den Schüler:innen einzugehen und trotzdem so etwas wie eine klar autoritäre positive Leitfigur darzustellen.

Die meisten von uns sind keine geborenen Pädagogen. Davon gibt es nämlich viel zu wenig, um ein ganzes Schulsystem am Laufen zu halten, so wie es zu wenige geborene Ärzte, Piloten, Wirte oder Vermögensverwalter gibt. Berufungen sind extrem selten. Viel öfter kommt es vor, dass man einfach einen Beruf hat und sein Bestes gibt. Alleine statistisch gesehen, ist man bei 25+ Schüler:innen nicht immer der richtige Lehrer für die Bedürfnisse jedes/jeder Einzelnen. An den Unis wird allerdings so etwas wie ein messianischer Anspruch vermittelt. Die Lehrer:innen sollen sich nicht nur ständig fortbilden, in ihrer Arbeit aufgehen und auf jedes Kind eingehen, sondern ein pädagogischer Wunderwuzzi sein, der unter Aufopferung seiner selbst gegen das System für die Schüler:innen kämpft.  

Deshalb ist es auch in Ordnung, dass Lehrer*innen im Vergleich zu anderen Akademiker:innen mit vergleichbar langer Ausbildung weniger verdienen, denn sie machen ja etwas moralisch Wertvolles und diesen Moralsparer kann man vom Gehalt abziehen. Sie sind Vorbilder, sie beißen für andere in den sauren Apfel. Sie machen etwas, das einen Nutzen für die Gesellschaft und für das Individuum erfüllt, so sagt man uns. Eine wertvolle Aufgabe verrichten sie. Und außerdem haben sie ja den Dank der Kinder und Eltern.

Nur bin ich mir bei den oben angeführten Punkten nicht so sicher. Immerhin gibt es leider, wie in jedem anderen Beruf auch, Leute, die nicht für die Aufgabe geeignet sind. Leute, die nicht nur an den Kindern vorbei unterrichten, sondern wirklich miesen und schädlichen Unterricht abhalten und eigentlich nichts in diesem Beruf verloren haben. Leute, die den Kindern schaden sind zum Beispiel Musiklehrer:innen, die den Kindern die Freude an der Musik abgewöhnen. Mathematiker:innen, die nur Angst schüren oder Deutschlehrer:innen die den Kindern die Lust am Lesen austreiben.

Dass dieses messianische Bild von der Lehrperson, das an der Universität verbreitet wird, dem eigentlichen Bild in den Zeitungen dieses Landes diametral gegenübersteht ist dann auch so ein Punkt. Die Zeitungen zeigen nämlich eher den verhunzten und verhunzenden Lehrer. Auch dieses eigentliche Bild des Lehrers in der Öffentlichkeit tut das seine, um diesen Beruf weniger attraktiv zu machen. Wer arbeitet schon gerne in einem Beruf, der in der öffentlichen Meinung so weit unten steht?

Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an (zumindest nicht zum Hauptteil), die Kinder zu erziehen. Ich will Wissen vermitteln; natürlich in einem menschlichen Kontext, ohne die Schüler:innen für Maschinen zu halten, aber doch in der Hauptsache und nicht so nebenbei, während ich eigentlich die Kinder nur zu verwahren habe. Das war eine der Hauptbotschaften, die ich in der Coronapandemie von der Bildungspolitik vermittelt bekam:

Egal, was in der Schule passiert, Hauptsache, die Kinder sind nicht daheim und die Eltern können arbeiten gehen.

Diese Botschaft ist meiner Meinung nach fatal. Sie zeigt nicht nur Geringschätzung den Lehrer:innen und ihrer Arbeit gegenüber, sondern auch dem Wissenserwerb und der Aufgabe von Schule als Ort, an dem etwas Sinnvolles geschieht. Im Moment sehe ich es eher so, dass Schule eine Aufbewahrungsstation ist, in der die Kinder im Idealfall das Grüßen lernen.

Der Versuch, den Lehrermangel mit Quereinsteiger:innen abzumildern spricht ebenfalls von der Geringschätzung, die dem Beruf entgegengebracht wird. In welchem anderen Beruf könnte man sich ähnliches vorstellen. Man stelle sich vor, wir würden den Ärztemangel damit beheben, dass Leute mit einem fachverwandten Studium (Biologie zum Beispiel), nach einer kurzen Eingewöhnungsfrist dann in den Beruf einsteigen könnten. Als Lehrer:in kann man allerdings gottseidank nur seelischen und selten körperlichen Schaden verursachen und diese Aufgabe kann man dann durchaus auch von Quereinsteiger:innen erledigen lassen.

 

7.     Digitalisierung als großes Fragezeichen.

Der Beruf verändert sich ständig. Hierbei handelt es sich natürlich nicht nur um ein „Problem“ des Lehrberufes, sondern auch um eine Chance. Gerade in der Schule gehört es auch zur Aufgabe der Lehrer:innen, immer auf dem neuesten Stand zu sein. Wir müssen mit ChatGPT und anderen Programmen umgehen können, denn unsere Schüler:innen sind uns sehr schnell sehr weit voraus, wenn wir nicht aufpassen.

Im Prinzip kann ich an dieser Stelle wieder sagen, dass es beinahe ein attraktives Feature meines Berufs ist, denn dadurch bin auch ich immer dazu angehalten, dazuzulernen und bleibe auf dem neuesten Stand. Allerdings ist auch hier das Bild in der Gesellschaft ein anderes. Lehrer:innen unterrichten immer noch Latein auf Overheadfolien, wenn man so auf das hört, was die Allgemeinheit sagt.  Wie weit das von der Realität in der Schule weg ist, wissen die wenigsten.

Die Digitalisierung bedeutet aber auch ganz andere Dinge für die Schule, nämlich eine komplette Veränderung der täglichen Welt im Klassenzimmer. In den letzten Jahren wurden beinahe alle Unterstufenklassen mit Tablets oder Laptops ausgestattet. Die Kinder erhielten hochmoderne Arbeitsgeräte, was an und für sich grandios ist, nur leider können sie damit in keiner Weise umgehen.

Nicht alle Kinder sind technikaffin. Die Kinder, die momentan in die Unterstufe gehen, sind zwar Digital Natives, allerdings sind die meisten von ihnen mit bedienungseinfachen Geräten aufgewachsen, die mit einem Druck des Fingers sofort ausführen, was man von Ihnen verlangt und hauptsächlich der Unterhaltung dienen. Bei komplexeren Programmen stehen die Kinder genauso an, wie die Erwachsenen, nur eben ohne selbst Lösungskompetenzen erworben zu haben, oder die Selbstdisziplin eines Erwachsenen zu besitzen, der sein Endgerät bei Nichtfunktion nicht sofort gegen die nächste Wand wirft. Diese erlangen sie erst mit der Zeit. Die Verlockung, mit dem Tablet zu spielen oder zu chatten anstatt zu arbeiten, ist dabei für die Kinder viel zu groß. Man stelle sich vor, man gibt einem Spielsüchtigen eine Maschine, mit der er seine Arbeit erledigen kann, die aber auch eine Funktion hat, mit der er online Roulette spielen kann. Womit wird der Spielsüchtige wohl einen Großteil seiner Zeit verbringen? Nicht anders ist es mit den Kindern in der Schule.  

Das alles wäre noch kein Problem, wenn die Schule nicht mit den elektronischen Geräten und der Digitalisierung vor einer Herausforderung stünde, die gesamtgesellschaftlich noch keinesfalls gelöst ist. Wie sollen Jugendliche mit dem Handy, oder dem Tablet umgehen? Wie sollen sie mit Social Media umgehen? Obwohl Plattformen mit Altersfreigaben und Limits versehen sind (Facebook ab 14, TikTok und Instagram ab 13), halten sich die Kinder nicht an diese Limits. Eltern sind mit der Situation überfordert und in den Fällen, in denen sie eine Ahnung von der Materie haben, können sie nur schwer Verbote aussprechen, weil die meisten Klassenkolleg:innen die Geräte bereits haben und solche Apps nützen. Lehrer:innen stehen dann vor der Situation, dass sie etwas am Rande mitbekommen und nicht wirklich eingreifen können, da es sich bei den Geräten der Kinder um deren Privateigentum handelt. Man ist auf seinen Draht zu den Schüler:innen angewiesen und befindet sich ständig in einem juristischen Graubereich. (Ganz abgesehen von der Haftungsproblematik, die sich ergibt, wenn 25+ Pubertierende ständig mit teuren Elektrogeräten hantieren).

Dazu kommt, dass gerade Jugendliche Mädchen sehr unter den Effekten der Sozialen Medien leiden. Seit deren Einführung sind gerade unter weiblichen Jugendlichen die Suizidraten in die Höhe geschossen (https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2021/11/facebooks-dangerous-experiment-teen-girls/620767/). Die Mädchen vergleichen sich nicht nur mit anderen realen Altersgenossinnen in Ihrer Klasse, sondern mit internationalen Supermodels, deren Bild noch durch unzählige Filter gejagt wurde. Und auch Ihnen stehen diese Filter jederzeit zur Verfügung, was dazu führt, dass Jugendliche mittlerweile Schönheitsoperationen durchführen lassen, damit sie so aussehen, wie ein Bild von sich selbst, das durch einen Filter „verbessert“ wurde.

Die Kinder haben außerdem nicht mehr die Möglichkeit, der Schule am Nachmittag zu „entkommen“. Sie sind genauso ständig erreichbar wie wir Erwachsenen. Wenn man früher mit seinen Klassenkolleg:innen nicht auskam, oder einfach nur Streit mit seinem besten Freund hatte, konnte man die Sache zumindest am Nachmittag auf sich beruhen lassen und dann wieder am nächsten Morgen in der Schule neu anfangen, in der Hoffnung, ein Teil der Aufregung oder des Streits habe sich verflüchtigt. Diese Hoffnung existiert so nicht mehr. Die Kinder kommen nachhause und müssen sich weiter mit Anrufen, Nachrichten, Posts aus Social-Media und dergleichen auseinandersetzen. Die Schule hat hier wenig Handhabe und wenn die Kinder nicht von vornherein Vertrauen zu den Lehrpersonen gefasst haben, können diese wenig unternehmen, um zu helfen.

Ein paar Beispiele aus dem Schulalltag:

Im Informatikunterricht beobachtet ein Kollege, wie die Schüler:innen Fotos von einem anderen Kollegen miteinander Teilen und online bearbeiten.

Der Kopf einer Kollegin wird auf den Körper einer Pornodarstellerin kopiert.

Auf TikTok kommt der Trend auf, Toiletten zu verstopfen und zu zerstören, oder Brandschutzalarme auszulösen und die Kinder machen munter mit; daraufhin müssen die Lehrer:innen die Klozeiten der Schüler:innen im elektronischen Klassenbuch vermerken.

Ständig muss man mit dem Bewusstsein leben, dass der eigene Unterricht jederzeit heimlich gefilmt werden könnte.

Hier hat die Schule nur gemeinsam mit den Eltern eine Handhabe, aber wie schon beschrieben, kämpft man oft nicht gemeinsam, sondern gegeneinander.


8.     Gesamtgesellschaftliche Probleme

Die Schule ist in einigen Belangen wie das Parlament. Sie ist der Ort, an dem alle Probleme der Gesellschaft zusammenkommen, diskutiert werden und man versucht, Lösungen zu finden, nur dass man in der Schule keine wirkliche Macht hat, etwas an diesen Problemen zu ändern (vielleicht auch wie im Parlament). Was bleibt, ist das „Schaffen von Bewusstsein“; es ist also so, als hätte man kurz das Ventil auf dem Dampfdrucktopf geöffnet, jeder hätte seinen eigenen Dampf abgelassen und jetzt brodelt alles munter weiter. Man spricht von der Schule als geschützte Werkstatt, doch diese Aussage wage ich zu bezweifeln. Große gesellschaftliche Diskurse, wie der Klimawandel, Genderpolitik, Migration, oder wie im vorherigen Punkt erwähnten, neue Technologien, werden sehr offensiv in der Schule verhandelt und die Kinder bekommen diese Punkte voll und ganz mit, ohne dass ihnen, oder den Lehrer:innen etwas gegeben wird, woran sie sich festhalten könnten. Alle sind in der ersten Reihe dabei, während wir als Lehrer:innen versuchen, selbst unsere Schlüsse aus diesen Diskursen zu ziehen und den Kindern verschiedenste Antworten vorzuleben. Das ist in einer Demokratie auch nicht schlecht, denn die Meinungsvielfalt macht uns ja auch aus, doch wenn Orthodoxie herrscht, oder zumindest scheinbar herrscht, treten auch hier Probleme auf… lasst mich präziser werden:  

Es gibt im intellektuellen Diskurs gewisse Meinungen, die vorherrschen und die teilweise, so habe ich das Gefühl, auch vorzuherrschen haben; hier wird mit Druck auf die einzelnen Beteiligten eingewirkt, um dann eine Meinungsorthodoxie zu schaffen; wie z.B. wenn es um die Impfpflicht geht. (Ich habe mich selbst hier im Blog dafür ausgesprochen). In einem Kollegium von 100+ Leuten wird man immer den einen oder anderen dabeihaben, der sich gegen die allgemeine Meinung stellt und ich finde das auch in einer Demokratie gut so! Als Lehrer:in allerdings kann man sich das nicht immer leisten, wie Beispiele von Impfgegnern in der Schule beweisen, die ihren Job verloren haben. Man denke auch an den Fall, der vor kurzem durch die Medien ging, als eine Direktorin sich öffentlich für strengere Kleidervorschriften in ihrer Schule einsetzte. Diese Frau ging gegen die aktuelle Meinung, dass man sich kleiden solle, wie man gerade will und musste mit gewaltigen medialen Konsequenzen umgehen. Als Lehrperson muss man hier sehr vorsichtig sein, denn man kommt mit einer divergierenden Meinung sofort in Teufels Küche.  

Während man nun in einem anderen Beruf einfach sagen kann: lasst mich mit diesen Sachen in Ruhe und kümmert euch um eure Arbeit, geht das in der Schule nicht. Als Lehrer:in muss man zu solchen Dingen immer wieder Stellung beziehen. Kinder wollen die Antworten haben, die man selbst auf diese Fragen gefunden hat; oder eben nicht gefunden hat. Wir alle wissen, wie schwierig es ist, sich eine eigene Meinung zu bilden und so ist es im Zweifelsfall einfacher, das zu sagen, was gerade irgendwo vorgeplappert wird.    

Doch gewisse Diskurse kommen nicht nur in die Schule, um dort im luftleeren Raum verhandelt zu werden. Das Thema Migration zum Beispiel ist ein so zentraler Teil unserer Schullandschaft (vor allem in Wien), dass man gar nicht daran vorbeikommt. Zu sagen: „Alles läuft gut, hier gibt’s nichts zu sehen“, wäre ein fataler Fehler. Laut dem österreichischen Integrationsfonds betrug der Anteil von Schüler:innen mit nicht-deutscher Umgangssprache im Jahr 2020 in Wien 52,7%. (https://www.integrationsfonds.at/fileadmin/user_upload/OeIF-FS-37-SchuleIntegration-V5.pdf) Also kann man davon ausgehen, dass jedes zweite Kind im Wiener Schulsystem eine andere Umgangssprache als Deutsch hat. Diese Zahl allein deutet darauf hin, dass man vor einer spezifischen Problematik steht, die irgendwie zu lösen ist. Auch ich überlege, wie ich das öffentliche Schulsystem bestmöglich mit meinen Töchtern umschiffen kann. (Zumindest bis zum Gymnasium). Ich bin kein Feind von Mehrsprachigkeit; im Gegenteil. Nur glaube ich, dass man zwangsläufig ein langsameres Lerntempo im Deutschunterricht der Volksschulen einschlagen muss, wenn alle erstmal auf dasselbe Niveau gebracht werden müssen. Melisa Erkut hat in ihrem Buch „Generation Haram“ auf einige weitere Problematiken in Bezug auf dieses Thema hingewiesen und sie hat es sehr viel eloquenter getan, als ich es in einem (nicht mehr so) kurzen Blogbeitrag könnte. Nur so viel sei hier von mir gesagt: Kinder mit Migrationshintergrund bräuchten im öffentlichen schulischen Bereich viel mehr Förderung, Unterstützung und Betreuung, nur fehlt auch hier wieder das Geld.

Kurz will ich noch etwas zu einem anderen gesellschaftlichen Faktor sagen: zur Familie.

Ich glaube, dass es in unserer momentanen Arbeitswelt seltener vorkommt, dass jemand (egal, ob Mann oder Frau) zuhause bei den Kindern ist und sie bei ihren Bedürfnissen unterstützt. Die Anforderungen, die unsere Gesellschaft an Eltern stellt, machen dies auch beinahe unmöglich, denn wie soll man sich von dem Gehalt eines einzelnen Elternteils eine Wohnung und die Versorgung einer Familie leisten können? Beide Elternteile müssen arbeiten, um die Familie zu versorgen. Wenn dann auch noch die Großeltern weiterhin fest im Arbeitsleben verankert sind, oder aus anderen Gründen nicht bei der Kinderbetreuung helfen können, sind die Eltern darauf angewiesen, die Kinder den ganzen Tag über in die Schule oder Betreuung zu geben. Ganztageskindergärten und -Schulen sind dann nicht nur eine Möglichkeit zur Entlastung, sondern eine Notwendigkeit für Familien, die ihren Alltag sonst nicht meistern können.

Der übliche Tag einer solchen Familie schaut dann vielleicht so aus, dass alle aufstehen, jeder seiner eigenen Morgenroutine nachgeht und das Haus um 07.00 verlässt, um dann um 18.00 wieder dorthin zurückzukommen. Die Kinder kommen dann genauso ausgelaugt aus der Betreuung, wie ihre Eltern aus der Arbeit.  (Erfahrungsgemäß haben sie dann noch nicht einmal ihre Hausübungen gemacht – denn dazu fehlt ihnen oft noch die Selbstdisziplin – sondern einfach mit den anderen Kindern gespielt oder sie sind an ihren Geräten gehangen.) Nach einem anstrengenden Arbeitstag versammeln sich dann also alle bei Tisch – wenn überhaupt gemeinsam gegessen wird – und versuchen dann natürlich einfach einen so angenehmen und ruhigen Abend wie möglich zu haben. Es ist kein Platz mehr für unangenehme, aber wichtige Gespräche, für das gemeinsame Erledigen der Hausübung, für das Klären von Problemen, oder für das Pflegen der Familienbeziehung. Stattdessen sind alle fertig und froh, wenn sie ihre Ruhe haben. Danach setzt sich jeder vor sein eigenes Gerät bis es Zeit ist, ins Bett zu gehen.  

Aus diesen Familienkonstellationen erwachsen dann Kinder, die die Lehrer:innen unter Tags betreuen müssen. Jegliche Form von Erziehung wird an die Lehrer:innen ausgelagert, genauso wie die emotionale Betreuung und der Umgang mit Problemen, weil in den Familien dafür kein Platz ist. Einige Kinder in der MNS z.B. sehen dann die Lehrperson öfter als ihre eigenen Eltern. Die Frage, die sich da aber dann wieder stellt, ist, ob man deshalb den Lehrberuf ergriffen hat? Will man das? Diese unglaubliche Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig ein Elternersatz für die Kinder zu sein, weil die Gesellschaft kollektiv beschlossen hat, dass wir die gesamte Brain- Woman- und Manpower nicht in der Familie, sondern am Arbeitsmarkt brauchen. Es wird von zusätzlichen Betreuungsplätzen und von der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie gesprochen. Was ist aber, wenn es vielleicht gar nicht so einfach ist und sich diese beiden Dinge nicht ergänzen, sondern eine funktionierende Familie nur funktioniert, wenn nicht beide Elternteile arbeiten? (Egal ob dabei Mann oder Frau den Part der Familie übernimmt) Man spricht nur darüber, die Teilzeitquote zu reduzieren, vielleicht wäre es aber für die Gesellschaft gar nicht schlecht, wenn man sie erhöhen würde. Vielleicht würden entspanntere Familienverhältnisse und gut erzogene Kinder auch dazu führen, dass wieder mehr Leute den Lehrberuf ergreifen wollen.

Dazu kommt dann, dass Leute, die gerne als Lehrer:in arbeiten wollen, oft selbst niemanden haben, der sich um die Kinder kümmern kann. Eine Freundin meiner Frau würde gerne schon wieder in den Lehrberuf einsteigen, hat aber keinen Kinderbetreuungsplatz für ihr eigenes Kind. Sie kann also nicht auf andere Kinder aufpassen, weil niemand auf ihres aufpassen kann.

Ich will am Schluss dieses Abschnitts noch einmal betonen, dass ich nicht glaube, dass es wichtig ist, WER sich zuhause um die Kinder kümmert (also ob Mann oder Frau), aber es ist wichtig, DASS sich jemand zuhause um die Kinder kümmert. Auch hierzu gibt es, meiner Meinung nach, eine Meinungsorthodoxie, die in der Schule im Kollegium immer wieder propagiert wird und die vielleicht einige Menschen vom Lehrberuf abhält.


9.     Mangelgehalt führt zu Lehrermangel

Zum Abschluss meines Posts, der nun schon viel zu lange ist, will ich noch kurz Handfest werden. Im Vergleich mit anderen Akademikergehältern fällt das Gehalt der Lehrer:innen ab. Ein großes Problem mit dem Gehalt von Lehrpersonen, wie ich es sehe, ist dabei nicht einmal die absolute Summe, sondern dass es weder Leistungsabhängig (wie bereits besprochen), noch verhandelbar ist. Ich kann als Lehrer unendlich viele Projekte durchführen und betreuen, jede(n) Schüler:in individuell fördern, an der Speerspitze der aktuellen Forschung in meinem Gebiet stehen, kurz eine Lehrperson der absolut ersten Güteklasse sein, und ich verdiene genauso viel wie jemand, der mit den Kindern im Unterricht Katzenvideos ansieht und seine Krankenstandstage bis auf das Maximum ausreizt. Wer Jung ist, gut ist und Ambitionen hat, wird es sich folglich sehr genau überlegen, ob er sich diesen Job wirklich antun will, wenn er es nicht für Gottes Lohn alleine tut.  


Zum Schluss:

Diese Entwicklungen führten vor kurzen eine Freundin von mir zu folgender Aussage, die ich sehr treffend finde. Sie sagte: „Das Schulsystem ist am kippen“ und wie bei einem Pool, der gerade kippt, versucht auch sie ihn zu verlassen. Der Lehrermangel kommt nicht überraschend und wird sich in den nächsten Jahren noch verschlimmern. Die Angestellten im öffentlichen Dienst gehen Großteils auf die Pension zu. Zirka ein Viertel aller Lehrpersonen sind über 55 Jahre alt (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1240371/umfrage/lehrer-in-oesterreich-nach-altersgruppen/). Wenn nicht bald etwas passiert, werden wir tatsächlich alle miterleben, wie dieses System „kippt“ und wer weiß, ob ich dann nicht auch diesen Pool verlassen werde.

 

                                                                                                                               

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