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Femizid

  • alrasumofsky
  • 2. Mai 2021
  • 6 Min. Lesezeit

Gestern hatte ich eine anregende Diskussion mit guten Freunden zum Thema Gewalt an Frauen und ich wollte versuchen, die Erkenntnisse aus dieser Debatte zu verschriftlichen.


Ich nehme den traurigen Anlassfall des Mordes an einer Frau in Wien zum Anlass, um heute über das Thema Femizid zu schreiben. Ich finde, man muss hier zweierlei Dinge unterscheiden. Erstens die Tragik des konkreten Falles. Hier geht es um wirkliche Frauen, die einem Mord zum Opfer gefallen sind, wobei meistens Männer – Familienmitglieder, Partner, oder Ex-Partner – diejenigen sind, die auf brutalste, feigste und widerwärtigste Weise einem Leben ein Ende setzen. Die zweite Ebene ist die gesellschaftliche. Das, was wir als „toxische Maskulinität“ bezeichnen und die strukturellen Probleme der Gesellschaft, die dann immer wieder in den Medien debattiert werden. Gerade bei diesem Thema ist es nicht immer leicht, oder sinnvoll, diese beiden Bereiche zu trennen. Ich werde trotzdem mein Bestes geben.


Ich fange auf der persönlichen Ebene an.


Wir alle haben in unserem Bekanntenkreis diese eine Person, von der wir uns immer wieder denken: „Komm verlass doch deinen Partner. Dein Partner tut dir nicht gut.“ Was auch immer hier an persönlichen Bedürfnissen befriedigt wird, wie groß der Helferkomplex auch sein mag, wir glauben zu wissen, dass unsere Freundin, oder unser Freund einfach nichts aus dieser Beziehung gewinnen kann und dass sie von deren Partner*in schlecht behandelt wird. Entweder handelt es sich hierbei um psychischen Missbrauch – „er/sie behandelt dich schlecht/ nutzt dich aus/…“ – oder in den schlimmsten Fällen handelt es sich sogar um körperlichen Missbrauch.


Beziehungen sind komplex und manchmal ist die Sicht in einer Beziehung eine völlig andere als von außen. Der Übergang in die Gewalt ist vielleicht schleichend. Die Opfer lieben ja ihre Partner und denken sich vielleicht, dass es nur ein einmaliger Unfall war. Dass die Hand in einer emotionalen Ausnahmesituation wirklich „ausgerutscht“ ist. Selbst wenn sich diese Vorfälle häufen, ist vielleicht das Bedürfnis, für den Partner da zu sein noch sehr stark und verhindert, dass man geht. Irgendwann ist es dann vielleicht soweit und man ruft die Polizei, doch selbst dann bleibt die Angst vor dem Partner und man geht wider besseren Wissens vielleicht zu ihm zurück, bis es dann irgendwann zu spät ist.


Sollte hier der Staat besser eingreifen? Sollte der Staat Beziehungen beenden, sobald Gewalt in den Beziehungen geschieht? In der Gesellschaft verlangt man nach besserem Opferschutz. Es ist zum Beispiel üblich, Frauen vor behördlich bekannten Männern zu schützen, doch müssen diese dem Schutz zustimmen. Was, wenn sie diesem Schutz nicht zustimmen? Ich glaube, so hart es klingt, aber selbst drakonischste Maßnahmen werden uns hier nicht helfen können. Man bräuchte schon einen totalen Überwachungsstaat, oder müsste die gewaltbereiten Partner schon nach dem ersten Vergehen einsperren, um jeden Frauenmord zu verhindern. Ob das praktikabel ist, sei einmal dahingestellt.


Die gesellschaftliche Ebene


All das bringt uns schon zur zweiten, zur gesellschaftlichen Ebene. Denn man würde das ja alles nicht brauchen, wenn man den Männern einfach nur beibringen würde, dass so ein Verhalten nicht ok ist. Wenn doch nur die „toxische Maskulinität“ durch Erziehung zu einem Ding der Vergangenheit würde. Hier sitzt unsere Gesellschaft, meiner Meinung nach gleich einigen Fehlannahmen auf und macht sich die Diskussion viel zu einfach.


Erstmal fühlt es sich für mich als Mann wie eine Generalverurteilung meines Geschlechts an. Da kann man natürlich zurecht sagen: „Na und? Diese Verurteilung ist ja auch gerechtfertigt, denn diese Frauen sterben immer durch die Gewalt von Männern“, aber – so hart das jetzt klingt – wir sprechen hier nicht von tausenden Frauen, die in Österreich jährlich durch häusliche Gewalt sterben. Und ich weiß nicht, wo diese Leute, die immer von der „toxischen Maskulinität“ aufgewachsen sind, aber in dem Kulturkreis, aus dem ich komme, war es durchaus nicht üblich, dass man Frauen als Objekte abtut, über die man Verfügen kann wie man will… und das war in Kärnten!


Wo wird diese Debatte über die „toxische Maskulinität“ ausgetragen?


Wo lernen Männer heute noch, dass es in Ordnung ist, mit einer Frau umzugehen, wie mit einem Stück Besitz?


In Familien? Da kann der Staat wohl kaum einwirken…


In der Schule und an der Uni? Wohl kaum. Hier lernen die Burschen eher genau das Gegenteil, nämlich, dass sie Täter sind, dass Männlichkeit giftig und zersetzend ist, auch wenn sie vielleicht selbst nie auch nur jemanden im Schwitzkasten hatten, sind sie doch Teil des Patriarchats, das die Frauen und Mädchen seit Jahrhunderten unterdrückt.


In der breiteren Kultur? Welcher Film wird heute noch produziert, der ein Frauenbild zeigt, wo die weiblichen Figuren willenlose Objekte sind? In aktuellen Filmen sind Frauen stark, sind sie Hauptpersonen, oder Vorbilder, die sich so ein Verhalten nie gefallen lassen würden. Selbst in Comicbuchverfilmungen sind sie diejenigen, die immer öfter bewusst im Zentrum stehen und in manchmal sehr plumper Weise zeigen, wie stark Frauen sind, und wie unfähig nicht die Männer sind. Wenn ein „toxischer Mann“ auftritt, dann als Feindbild, aber nie als Vorbild.


Ist es am Arbeitsplatz in Ordnung, so ein Verhalten an den Tag zu legen? Diverse Berichte von prominenten Männern, die zuletzt auch in Österreich für so ein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden, deuten auf das Gegenteil hin. Denn dort, wo dieses Verhalten von mächtigen Männern praktiziert wird, folgen Kündigungen, Gerichtsverfahren und öffentliche Verurteilungen in allen Medien des Landes.


In der breiteren Gesellschaft? Jetzt werden sich einige denken: „Ja! Hier grassiert der Sexismus! Wie oft heißt es nicht, dass Frauen auch schuld daran sind, wenn ihnen etwas geschieht. Wenn sie vergewaltigt werden, dann kommen sofort die Kommentare: hatte doch sicher einen Minirock an und einen argen Ausschnitt… die braucht sich nicht wundern, wenn ihr sowas passiert.“ Abgesehen davon, dass hier sicher oft eine Täter-Opfer-Umkehr geschieht, muss man auch sagen, dass Frauen sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst sein sollten und wir auch Mädchen beibringen sollten, stärker, selbstbewusster aufzutreten und dass es nicht nur in Ordnung ist, „Nein“ zu sagen, sondern, dass es ihr gutes Recht ist. Gleichzeitig soll man die Erziehung der Burschen nicht vernachlässigen. In den oben besprochenen Fällen von Gewalt gegen Frauen wird allerdings auch das stärkste „Nein“ und ein Sack über dem Kopf nicht helfen... genauso wenig wie ein Seminar, oder eine Fortbildungsveranstaltung den Täter davon abbringen wird, zum Täter zu werden.


Die Doppelmoral der Gesellschaft


Dazu kommt, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir zwei sehr unterschiedliche Botschaften zum Thema Sexualität in der Öffentlichkeit senden. Die eine Botschaft, die wir immer wieder überall hören ist: Sex ist gut! Je mehr, desto besser und in allen Variationen. Sex befreit, verjüngt und solange zwei Erwachsene damit einverstanden sind, dass sie miteinander schlafen, gibt es überhaupt kein Problem.


Allerdings haben wir hier schon ein riesiges Problem. Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen einem Gefühl der Reue, das man nach schlechtem Sex hat und dem Gefühl, dass man missbraucht wurde. Bei dem einen Gefühl hat man nämlich selbst etwas gemacht, was man im Nachhinein bereut und beim anderen wurde man von jemandem missbraucht. Es kann außerdem sein, dass sich während des Aktes plötzlich jemand nicht mehr wohlfühlt, weil irgendeine Grenze überschritten wurde. Hier liest man dann oft, dass es dann für beide Parteien sofort klar sein sollte, dass etwas nicht in Ordnung ist, auch wenn kein „Nein“ im Raum stand. Wie soll man das aber wissen? Selbst ein Nein ist nicht immer unmissverständlich.


Siehe dazu: (https://www.youtube.com/watch?v=GZ3QHTpMZgQ)


Die Regeln und Normen rund um Sexualität sind eben nicht einfach und das muss man sich eingestehen. Vieles von dem, was wir attraktiven Menschen durchgehen lassen, fassen wir bei anderen als Affront auf. Gerade gestern habe ich über eben dieses Thema gesprochen. Ein bekannter Fitnesstrainer, von dem viele meiner Freundinnen sagen, dass sie ihn attraktiv finden, furzte und rülpste munter vor sich hin und die Mädels lachten darüber, gestanden aber gleichzeitig, dass dieses Verhalten nur akzeptabel sei, weil der Typ eben so attraktiv sei. Wenn jemand attraktiv ist und mit uns flirtet, empfinden wir es als Kompliment. Wenn jemand unattraktiv ist, empfinden wir es als Beleidigung.


Man kann diesem Problem des „Nein“, das vielleicht „Ja“ heißt und der unerwünschten Avancen entgegenwirken, indem man vor dem Geschlechtsverkehr einfach einen Vertrag ausfüllt, wie das jetzt immer öfter, gerade in Amerika dem Land der Verträge, der Fall ist. Oder man bestätigt über eine App, dass man mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden ist.


(https://eu.usatoday.com/story/tech/columnist/baig/2018/09/26/proof-yes-means-yes-sexual-consent-apps-let-users-agree-have-sex/1420208002/)


Dass hier einiges an Romantik und Spontanität verloren geht, liegt auf der Hand, aber vielleicht müssen wir diese Opfer bringen, wenn wir weiterhin nicht für schlechten Sex verklagt werden wollen.


Natürlich kann man noch mehr tun! Man kann natürlich immer einschreiten, wo man im Bekanntenkreis abschätzige Bemerkungen Frauen gegenüber hört, man kann immer auch als Mann versuchen, ein besserer Verbündeter im Kampf gegen Gewalt an Frauen zu werden. Der Staat kann seine Gesetze überdenken und versuchen, besser gegen amtsbekannte Gewaltverbrecher vorzugehen, aber ich glaube, hier von toxischer Maskulinität, oder von breiten gesellschaftlichen Problemen der Männer zu sprechen wird nur den gegenteiligen Effekt haben und für Frust sorgen.


Denn ich glaube auch, dass gerade auch den männlichen Polizisten nicht wohl bei dem Gedanken ist, dass sie jemanden jetzt wieder frei laufen lassen, der gleich wieder zu seiner Frau gehen wird. Es wird auch den männlichen Ärzten und Krankenpflegern nicht gerade leicht fallen, einen Frau wieder nachhause zu schicken, wenn sie wissen, dass dort wieder ihr Partner auf sie wartet. Wo ist hier die toxische Maskulinität? Was ist mit dem Generalverdacht gegen diese Männer? Ist auch der gerechtfertigt?


So traurig es ist, aber es wird auch einen zehnten Femizid in Österreich geben und auch hier werden alle Medien aufschreien. Auch nach dem elften wird es heißen, dass toxische Maskulinität daran schuld ist, ohne dass sich irgendetwas ändern wird, außer, dass sich noch mehr Männer denken werden, „was hab ich denn bitte getan?“ Die Generalverurteilung aller Männer wird im Endeffekt nur aus Verbündeten Feinde machen und den Gegnern der Frauenbewegung in die Hände spielen.


So… das war recht lang… Schreibt mir gerne in die Kommentare, was ihr davon haltet… ich bin gespannt von euch zu hören!

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