Gamestop für Anfänger. Die Story erklärt
- alrasumofsky
- 31. Jan. 2021
- 6 Min. Lesezeit
Wie kleine Investoren die großen Hedgefond Millionäre in die Knie zwangen.
Die Geschichte ist mittlerweile durch alle Medien gegeistert und das zurecht. Es gibt wenig Stories, die uns mehr begeistern als die Kämpfe zwischen David und Goliath und die Gamestop-Aktiengeschichte, die sich gerade erst so richtig zuspitzt, ist eine davon. (Ich gebe hier keine Kaufempfehlungen ab!)
Was ist genau geschehen?
Punkt 1: Was ist Gamestop?
Die Gamer unter euch werden die Gamestop Läden kennen. In fast jedem Einkaufszentrum gibt es einen und sie brauchen selten viel Platz, denn sie sind im Prinzip nichts anderes als die Videospielabteilungen in anderen Geschäften. Nur kann man in diesen kleinen Läden auch seine alten Spiele gegen Gamestop Gutscheine eintauschen. Also vom Prinzip her recht einfach. Nachdem aber mittlerweile ein Großteil der Spiele nicht mehr als physische Disc gekauft wird und die Läden schon alle seit einiger Zeit geschlossen sind (Ah ja! Da war ja was!) war der Preis der Aktie von Gamestop im März zusammen mit anderen physischen Geschäften in den Keller gerauscht.
Disclaimer:
In diesem Post geht es notgedrungen um Aktien. Für alle, die sagen: „interessiert mich überhaupt nicht“, oder „alles nur Zockerei“…. verstehe ich… ich habe auch mal so gedacht. Für die anderen: ich beschäftige mich seit dem ersten Lockdown mit den Themen Finanzen, Aktien und Wirtschaft und will versuchen, das Ganze – so einfach es mir möglich ist – erklären. (Wenn ich irgendwo Blödsinn erzähle, bitte ich die ExpertInnen unter euch, mich in den Kommentaren zu zerfleischen).
Wir beginnen ganz von vorne: Aktien sind Unternehmensanteile. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn zum Beispiel eine Kebap/Burgerkette mit dem Namen MCDönalds aufmacht und Geld mit ihren patentierten Fusionsküchen-Rezepten verdient, dann kann sie einmal vorerst nur durch Kunden Geld verdienen. Leute gehen rein in den Laden und kaufen ein MCMünü (MCDürüm, Köfte-McNuggets mit Ayran) und so macht der Laden sein Geld. Wenn er aber jetzt zum Beispiel einen zweiten Standort eröffnen will, um mehr Kunden zu erreichen, wird der Laden Geld brauchen. Jetzt können die BesitzerInnen der sympathischen Burgerkebapkette, wie jeder andere auch, einfach mal zu einer Bank gehen und fragen, ob die Bank ihnen Geld leiht. Allerdings hat die MCDönalds Crew auch die Möglichkeit, eine Aktie herauszugeben, also Unternehmensanteile an die Öffentlichkeit zu verkaufen. Nehmen wir der Einfachheit halber an, es sind 1000 an der Zahl. Sobald dann diese 1000 Aktien an der Börse sind, kann man sich dann zu einem bestimmten Preis einen Anteil an einem Unternehmen kaufen (und hier lasse ich einiges aus, wie zum Beispiel verschiedene Vorfinanzierungsgeschichten, die da im Hintergrund ablaufen, bevor die Aktie gehandelt wird und diverse rituelle Tänze und Tieropfer mit denen der Startpreis der Aktie festgelegt wird; so stelle ich mir das jedenfalls vor). Jede(r) AktionärIn nimmt dann am steigenden oder sinkenden Preis der Aktie teil, kann sie, wenn ihr Wert durch hohe Nachfrage an der Börse steigt, verkaufen und so Geld verdienen oder bekommt Auszahlungen in der Form von Dividenden die das Unternehmen in guten Jahren ausschüttet (= nichts anderes als eine kleine Bonuszahlung an die AktionärInnen).
Was die Aktie von Gamestop so besonders machte, ist die Tatsache, dass besonders viele Hedgefonds die Aktie leer verkauft hatten.
Nächster Erklärungsabsatz: Eine Shortposition, oder ein Leerverkauf ist Folgendes: Man kann natürlich nicht nur von einem Unternehmen und von dessen rosiger Zukunft überzeugt sein, was Nachfrage und Preis an der Börse nach oben treiben würde. Man kann sich auch denken: MCDönalds ist Schnee von gestern und nachdem es Lieferengpässe bei heimischen Kebapspießen gab, wird der Preis der Aktie sicherlich von den momentanen 100€ pro Aktie fallen (auf z.B. 70€). Jetzt hat aber die Person, die sich so etwas denkt – nennen wir sie Henry Hedgefond – selber gar keine Aktien des Unternehmens, oder die eigenen alle zum momentanen Preis verkauft. Henry Hedgefond ist aber überzeugt davon, dass der Preis sinken wird und davon würde er gerne profitieren. Wie aber soll er das anstellen? Durch einen Shortsale!
Er kann von einem Besitzer der Aktie eben diese MCDönalds Aktie ausborgen, sie jemandem verkaufen und dann, sobald der Preis gesunken ist, für weniger Geld zurückkaufen. Zusammen mit einem kleinen monetären Dankeschön (Gebühr) gibt er sie dann an ihren vorherigen Besitzer zurück und hat vom Preissturz profitiert. Toll, oder? Jetzt kommt der Haken… Wenn die Aktie im Wert steigen sollte, weil sich zum Beispiel herausstellt, dass der größte Konkurrent von MCDönalds, Baklavaking, seine Pommes in Öl brät, das nicht halal ist, und der Preis von MCDönalds nach oben schießt, dann muss Henry Hedgefond die Aktie zu einem höheren Preis zurückkaufen (z.B. 130€) und zusätzlich noch die Leihgebühr zahlen. Was die Angelegenheit noch perverser macht: Henry Hedgefond kann die Aktie leerverkaufen und sein Freund Henning Hedgefond kann eben diese Aktie, die ja eigentlich nicht von ihrem Besitzer verkauft wurde, erneut von einem Aktienhändler ausborgen. Wenn jetzt Henry die Aktie zurückhaben will, muss Henning sie zuerst wieder zurückkaufen und so kann es eben sein, dass eine einzelne Aktie am Markt öfter aufscheint als sie wirklich existiert. Im Fall von Gamestop gibt es 113.31% Gamestop Aktien.
Spätestens hier sieht man, dass im System etwas kaputt ist. Wie soll es von einem real existierenden Unternehmen 113.31% Anteile geben? Doch wie schon ein altes Börsensprichwort sagt: „The market can remain irrational longer than you can remain solvent.” Eben diese Art der wundersamen Vermehrung gab es bei Gamestop. Teilnehmer eines Reddit Forums mit dem Namen Wallstreetbets, bemerkten diese Tatsache und schlossen sich zusammen, um durch koordinierte Massenkäufe der Aktie ihren Preis in die Höhe zu treiben. Sie taten dies nicht zuletzt auch deshalb, weil es positive Nachrichten rund um das Unternehmen gab – das würde hier allerdings zu weit führen.
Das Interessante an der Sache ist, dass diese Masse an Durchschnittsinvestoren dadurch etwas erreichten, was man einen Shortsqueeze nennt. Wenn der Preis einer leerverkauften Aktie nach oben geht, wird Henry Hedgefond nervös, da ihn diese Wertsteigerung ja Geld kostet. Er wird versuchen, die Aktien noch zum niedrigen Preis zurückzubekommen, bevor er sie zu einem viel höheren zurückkaufen muss, um sie an den Besitzer zurückzugeben. Hier steht Henry Hedgefond unter enormem Druck, denn es gibt bei diesen Shortpositionen immer so etwas wie ein vereinbartes Datum, an dem die geliehene Aktie zurückgegeben werden muss. Doch wenn die 1000 MCDönaldsaktien, die es gibt, alle im Besitz von Redditern sind und diese Redditer sich weigern, sie zum Preis von 100€ zurückzugeben, sondern stattdessen 1000€ pro Aktie verlangen, dann müssen die Henry Hedgefonds dieser Welt jeden Preis zahlen, der von den Redditern verlangt wird. Das geschah auch bei Gamestop. Die Aktie war ins Unermessliche gestiegen. Hätte man nach dem Absturz im April gekauft, wäre man bei 2.80$ pro Aktie eingestiegen und hätte letzte Woche bei einem Preis von 409$ verkaufen können. Einzelne Redditer hatten Gewinne in Millionenhöhen verzeichnet. Tatsächlich hat der Hedgefond Melvin Capital durch diesen Shortsqueeze insgesamt ca. 3 Milliarden Dollar verloren.
(Es ist wie in den Sitcoms, wenn die Hauptfigur auf den Christbaummarkt geht, weil er/sie vergessen hat, einen Weihnachtsbaum für die Familie zu kaufen, der Markt aber gerade zusperrt. Sie sehen, wie der letzte Kunde gerade mit einem Baum davongeht, rennen hinterher und kaufen ihm den Weihnachtsbaum um eine horrende Summe ab.)
Soweit der Stand am Mittwoch. Dann allerdings kam es, wie es kommen musste und Henry Hedgefond schlug zurück. Zuerst gab es Stimmen in Wallstreet-nahen Medien, die gegen die Redditer hetzten, dann kamen Stimmen aus der Politik, die ihre Unterstützung anmeldeten (diesmal allerdings für Henry und für die Redditer). Dann wurde auf der Plattform mit der viele von den kleinen Investoren handelten – Robinhood, ein US-Amerikanischer Onlinebroker- der Handel mit Gamestop- und anderen Aktien ausgesetzt, was den Preis wieder zum Einsturz brachte. Zwischenzeitlich schwappte die Manie auch auf Europa über. Der Onlinebroker Traderepublic war mit der Nachfrage nach neuen Depots überfordert und es entstanden lange Wartezeiten für Neukunden, die versuchten, ebenfalls auf den Zug aufzuspringen, nur um dann zu erfahren, dass auch bei Traderepublic der Handel mit den betroffenen Aktien eingeschränkt worden war. Es war ein wildes Auf und Ab.
Mittlerweile deuten auch einige Anzeichen darauf hin, dass nicht nur die kleinen Investoren hier ihre Finger im Spiel hatten, sondern auch mehrere große institutionelle Investoren hinter der Kulisse mitwirkten. Wer wann was wo tat, wird sich erst noch zeigen. Doch wir sind gerade dabei, ein Kräftemessen zwischen David und Goliath zu beobachten und es wird spannend bleiben, wie Goliath David schlussendlich besiegen wird (und nein, ich habe mich nicht verschrieben).
Es gab schon einige ähnliche Kämpfe in der jüngeren Geschichte der Aktien. Unter anderem war die VW Aktie durch einen ähnlichen Squeeze von 200€ auf 1000€ gestiegen und das innerhalb von 2 Tagen. Eine ähnliche Geschichte kann man auch in Business Adventures von John Brooks lesen. Dort erzählt er im Kapitel „The Last Great Corner“ die Geschichte von einem ähnlichen Shortsqueeze der Piggly Wiggly Stores (einer der ersten Supermärkte).
Die Moral von der Geschichte wird sich erst zeigen. Wie es momentan aussieht ist sie aber die Folgende: auch wenn Apps wie Robinhood oder TradeRepublic so etwas wie eine Demokratisierung des Handels an Börsen versprochen hatten, schaut es in Wahrheit wohl eher so aus, als würden die Märkte sich mit allen Mitteln gegen diese Demokratie wehren. Was hier geschieht wäre in dieser Form noch vor 20 Jahren auf keinen Fall möglich gewesen. Erst die Weite des Internets und die Entwicklung von Apps machten diesen Angriff der Kleinen auf die Großen möglich. Dieser Kampf zeigt auf jeden Fall eines: wir leben in Zeiten des Umbruchs.
Dieses Video fasst die ganze Thematik auch sehr schön zusammen:
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