Schreibzweifel
- alrasumofsky
- 10. Jan. 2021
- 5 Min. Lesezeit
Im folgenden Blogpost mache ich mir Gedanken über das Schreiben an sich. Ich spreche über Selbstzweifel, über die Berechtigung, etwas zu sagen und über unsere Vorbilder. Selbstzweifel haben wir alle; so gehe ich mit meinen um:
Wer gibt mir das Recht zu schreiben, zu komponieren, oder einfach etwas zu sagen?
Diese Frage beschäftigt mich schon lange und genauso lange beschäftigt mich der folgende, von Newton überlieferte, Satz:
„If I have seen further it is by standing on the shoulders of Giants.”
Diese beiden Sätze haben vielleicht auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun, aber ich sehe es so: Jedes Kunstwerk, das wir von klein auf vorgesetzt bekommen, ist perfekt. Es sind die Erzeugnisse von intellektuellen Riesen. Wir lesen Goethe, Dostojewski und Schiller, wir hören Mozart, Bach und Beethoven, wir sehen Gauguin, Picasso und Matisse und wo bleiben wir? Die Riesen der Vergangenheit stehen gewaltig vor uns und wir wachsen in ihrem Schatten auf. Sie haben uns gezeigt, wie es gehen soll und wir stehen nicht immer auf ihren Schultern, sondern wir fühlen manchmal uns, als wäre es umgekehrt. Ein Vorbild ist in diesem Sinn wie ein Richter, der uns unbarmherzig das eigene Beispiel vorzeigt und sagt: „Nicht gut genug.“
(Dieses Gefühl war übrigens die Triebfeder für die Kurzgeschichte „unwürdige Bürokratie“ auf dieser Seite und wird auch, weil ich ihn schon einmal erwähnt habe, in Dostojewskis Brüdern Karamasow in der Parabel des Großinquisitors angesprochen:
Es geht um den Großinquisitor, der zur Zeit der spanischen Inquisition, den auferstandenen Jesus trifft… mehr wird hier nicht gespoilert).
Doch es muss nicht immer Goethe sein. Ich denke zum Beispiel daran, dass meine Mutter in letzter Zeit für die Familie immer wieder Bilder gemalt hat und auch wenn sie vielleicht nicht mit einem Dürer zu vergleichen sind, hätte ich doch lieber in 50 Jahren ein Bild von meiner Mutter an der Wand als einen Dürer… (ok vielleicht wenn ich mir das Geld vorstelle überlege ich mir das nochmal 😉). Ihre Bilder haben insofern einen besonderen Wert für mich und meine Familie, weil sie eben etwas Besonderes sind; etwas Selbstgemachtes und vielleicht wird es meinen Kindern irgendwann so mit meinen Texten gehen.
Oder sie werden sie als große Zeitverschwendung sehen. Es ist eine Sache, seine Zeit einfach zu verschwenden und etwas zu produzieren, was niemanden interessiert, aber es ist eine ganz andere Sache, diese Zeitverschwendung dann auch noch herzuzeigen (mehr oder weniger stolz). Was will ich damit erreichen? Im Idealfall will ich Anerkennung; monetär, oder sonst wie und die Möglichkeit aufgrund dieser Anerkennung noch mehr zu schreiben, zu komponieren, noch mehr Gehör zu finden.
Warum sollte aber gerade ich das tun? Wer gibt mir das Recht, mich zu irgendeinem Thema zu äußern? Oder lasst mich die Frage so stellen: schadet mein Schreiben meinen Lesern? Vielleicht bringt es ihnen ja überhaupt keinen Wert und jemand kommt am Ende eines Satzes, durch den er sich mühevoll gekämpft hat, darauf, dass er damit einfach nur seine Zeit verschwendet hat und nicht mal auf die angenehme Art verschwendet, auf die unterhaltsame, wie man seine Zeit verschwendet, wenn man ein gutes Computerspiel spielt, oder mit einem alten Freund über eine gut imitierte Stimme lacht. Niemand hat gewonnen. Ich nicht, und mein Leser auch nicht, wenn ich ihre Zeit auf diese Art und Weise verschwende.
Hier könnte ich natürlich sagen, das interessiert doch mich nicht. Ich zwinge niemanden und vielleicht, ja wirklich nur vielleicht, gefällt jemandem ja auch was ich schreibe. Ich könnte natürlich auch mein Schreiben mit dem Satz rechtfertigen: „Ich schreibe einfach gerne und damit hat sich die Sache“. Ich habe kein Schreibbedürfnis, nicht falsch verstehen. Ich bin (gottseidank?) keine dieser armen Seelen, die einfach nicht anders kann, die jede wache Minute ihrer Existenz vor sich hin bluten und dieses Blut in einem heiligen schöpferischen Akt der Seite als Opfer darbringen muss. Ich bin so nicht. Ich kann auch ohne, aber das Schreiben ist für mich wie ein seelischer Spaziergang, bei dem ich müde Knochen auslüften kann und bei dem die Spatzen aus meinem Hirn wieder mal ihre Kreise ziehen können.
Genauso gut könnte ich sagen, ich übe das Schreiben, damit ich irgendwann auch ein besserer Mensch und Lehrer werde. Wir sind selten gezwungen, unsere Gedanken verständlich auszuformulieren. Wenn ich eine Entscheidung treffe, dann meistens nur aus einem Bauchgefühl heraus, oder aus einer Ahnung. Die Wenigsten unter uns spielen alltägliche Entscheidungen in der Form eines Essays in Gedanken durch; Verfassen einen gedanklichen Versuch über die Vor- und Nachteile von Colgate, oder die kausalen Verhältnisse, in denen die Packlsuppe zum Gewicht des Küchenregals steht. Aber bei gewissen Sachen hilft es, die eigenen Gedanken klar zu formulieren, und zwar so, dass sie auch ein anderer Mensch verstehen kann und ich glaube, dass man das genauso üben kann wie alles andere. Auch als Lehrer will ich schreiben, da ich nicht von meinen Schülern etwas verlangen will, was ich selbst nicht erfülle. Genauso wenig würde ich als lesefauler Mensch glaubhaft verlangen können, dass meine SchülerInnen die Liebe zur Literatur entwickeln.
Manchmal ist es mir auch peinlich zu schreiben; mich zu äußern. Vielleicht geht es da nur mir so, aber jedes Mal, wenn ich etwas Geschriebenes von mir präsentiere, schwingt da etwas mit. Es ist so, als würde ich damit rechnen, dass das Publikum mich in Stücke reißt. Wenn ich singe, oder musiziere ist da tief unten manchmal auch sowas wie eine Angst vor den ZuhörerInnen. Ich weiß nicht, was ich mir da erwarte. Dass ich sofort vom Publikum geschlagen werde, oder von denen, die die Darbietung genossen haben nur angespuckt? Erwarte ich mir harsche Kritik, oder Spott hinter meinem Rücken? Dieses lauernde Gefühl des Scheiterns ist da bei jedem Witz, der nicht landet, bei jedem liebevollen Wort, das auf peinlich berührtes Schweigen trifft. Aber was geschieht dann wirklich? Nichts. Im schlimmsten Fall werde ich von jemandem verspottet, aber Spott hat noch niemanden getötet.
Es kann natürlich auch sein, dass etwas so falsch, ja so katastrophal beim Gegenüber ankommt, dass nicht nur jemand beleidigt wird, sondern die Freundschaft zwischen zwei Leuten in die Brüche geht. „Du kranke Sau“, könnte sich mein Gegenüber bei einem besonders verwinkelten Schachtelsatz denken und einfach nie mehr mit mir reden. Ist aber die Alternative, dass man still immer diese Seite seiner Selbst versteckt? Wie ein Fußfetischist, der eine Amputierte heiratet, aus Angst vor der eigenen Lust? So darf es dann doch auch nicht sein. Man soll doch niemanden für einen schöpferischen Impuls bestrafen; auch sich selbst nicht. Würde man nicht ein Kind loben, dass still vor sich hin in den Sand kritzelt? Sicher würde man das tun, außer es malt mit dem Blut einer Katze (looking at you Hermann Nitsch).
Wer aber gibt mir das Recht? Habe ich schon lange genug studiert? Bin ich denn klug genug, um etwas Neues zu sagen? Nein, nein, und nein. Definitiv nicht. Viel lieber wäre es mir, die Leute, die etwas zu sagen haben, würden schreiben und ihre Wahrheit der ganzen Welt ins Gesicht schreien. Diejenigen, deren Sätze mit einer Eleganz über die Seiten tanzen, die meine klumpfüßigen Kinder nie zustande bringen. Aber ich kann sie ja auch nur mit meiner Anerkennung unterstützen. Ich kaufe ihre Bücher (bitte auch tun!) Sie werden durch meinen Dilettantismus nicht leiden, außer ich nehme ihnen mit meinem Nonsens wertvolle LeserInnen weg. In diesem Sinne kauft bitte, wenn ihr etwas von mir lest, auch ein Ersatzbuch von einem großen Autor, oder einer Autorin und wenn euch die Lektüre meiner Bücher wirklich absolut zu einem schlechteren Menschen gemacht hat, oder sogar Schmerzen verursacht hat, dann bitte hört auf, sobald ihr merkt, dass eure Psyche unter meinem Blödsinn leidet.
Ich muss also voraussetzen, dass jede/r meiner LeserInnen aufhört zu lesen, sobald seine Augen zu bluten beginnen. Wer dann trotzdem noch weiter liest, wie soll ich dem helfen? Also für alle, die diese Zeilen jetzt durch einen roten Vorhang lesen: hört bitte auf. Oder wenn ihr nicht anders könnt, dann schreibt mir bitte in die Kommentare, warum ihr noch immer dabei seid.
Comentarios