Spezialisierung
- alrasumofsky
- 18. Apr. 2021
- 5 Min. Lesezeit
Heute geht es um die Kraft der Einschränkung. Warum man sich spezialisieren soll und was wir von Spitzensportlern und Peter Pan lernen können.
Was fehlt einem allmächtigen Wesen?
Einschränkungen.
Da wir aber keine allmächtigen Wesen sind, neigen wir manchmal dazu, uns keine Limits aufzuerlegen. Wir arbeiten, bis wir umfallen, oder zumindest bis wir kurz davor sind und haben dann ein schlechtes Gewissen, wenn wir nicht so gut sind, wie diejenigen, mit denen wir uns vergleichen.
Ich bin mir sicher, dass ich nicht der einzige bin, dem es so geht und aus diesem Grund schreibe ich heute diesen Blogpost. Ich hoffe, dass ich beim Ordnen meiner Gedanken auch ein bisschen Ordnung in die Gedanken der Personen bringen kann, die diesen Blogpost lesen.
Das Thema meiner Woche:
Diese Woche stand für mich im Zeichen des großen Überthemas „Einschränkungen“. Ich lebe mein Leben ein bisschen als Hans Dampf in allen Gassen, wie es sicher so schön irgendwann mal geheißen hat (in Wirklichkeit habe ich diesen Ausspruch nur in schlechten Charakterisierungen gelesen, aber noch nie gehört.). Die Engländer sagen dazu „jack of all trades, master of none“. Vielfalt und Vielseitigkeit waren mir immer wichtig, doch ich erkenne immer mehr, dass diese Vielfalt einen Preis hat.
Warum sollte ich mich spezialisieren?
Ich sehe die Student*innen in meinem Umfeld und merke, wie mich alle links und rechts überholen. Ich merke, wie die, die mit mir an der Anglistik oder Germanistik studiert haben, jetzt schön langsam die ersten Posten an den Unis bekommen. Ich merke, wie die Mitstudent*innen an den Kunstunis die ersten Orchesterstellen bekommen oder Wettbewerbe gewinnen. Ich merke, wie diejenigen, die genauso lange schreiben wie ich, die ersten Erfolge haben und schaue ihnen hinterher, wie jemand der auf der Rennbahn schon zum zweiten Mal überrundet wird.
Warum sind die anderen besser als ich?
Dabei stelle ich mir nicht einmal wirklich die Frage: warum? Denn ich weiß die Antwort. Warum sollte sich ein Hobbyläufer mit jemandem vergleichen, der wöchentlich einen Marathon läuft? Warum sollte ich mich also als jemand, der momentan maximal 2 Stunden am Tag übt, mit jemandem vergleichen, der jeden Tag seine 3-4 Stunden in seine Leidenschaft investiert. Es kommt immer drauf an, wie viel Energie und Zeit man in eine Sache investiert und ich investiere eben einen großen Teil meiner Zeit in viele Dinge.
Jetzt könnte man sagen: Ja, und? Sei doch froh, dass du mehrere Sachen kannst und kein Fachidiot bist, doch gerade diese „Fachidioten“, sind diejenigen, die aufgrund ihrer Expertise irgendwann die großen Neuerungen hervorbringen. Die großen Innovator*innen waren meistens auch fokussiert und gingen mit einem gewissen Tunnelblick durch die Welt. Beethoven hatte nur sein Klavier und seine Noten im Kopf und deswegen wurde er einer der großen Komponisten.
Genies auf Abwegen:
Selbst die ganz Großen mussten sich also einschränken, um etwas zu erreichen. Was soll dann ich als Kleingeist sagen, der ich versuchen muss, mit den Mitteln, die mir mit auf den Weg gegeben wurden, auszukommen. In den wenigen Fällen, in denen die Genies sich nicht einschränken wollten, hört man dann auch im Nachhinein nicht mehr wirklich was davon. So ist es zum Beispiel bei Goethe, der anscheinend auch ein bisschen komponiert haben soll, aber ich gehe beinahe jede Wette ein, dass noch niemand eine seiner Kompositionen gehört hat. Auch E.T.A. Hoffmann war Hobbykomponist und dürfte sogar ziemlich gut gewesen sein, doch selbst bei ihm dominiert im Nachlass der „Kater Murr“ und die Figur des Kapellmeisters Kreisler, mit der er sich identifiziert haben soll, tritt in den Hintergrund.
Das alles hat auch etwas mit der Geschichte von Peter Pan zu tun.
Was, Peter Pan? – werdet ihr euch fragen.
Ja. Peter Pan, der König der verlorenen Jungen, aus dem Nimmerland. Er bleibt immer jung, steckt also voller Potential und muss sich nicht entscheiden, welche Spezialisierung er jetzt endlich wählen soll. Auch sein Name deutet auf die Fülle seiner Möglichkeiten hin, denn die Silbe pan- steht in ihrer Bedeutung für „ganz, umfassend und total“ (wenn man Wikipedia glauben darf). Es ist auch kein Wunder, dass Peter Pan nicht erwachsen werden will, denn das einzige erwachsene Vorbild auf der Insel ist Captain Hook, der einen Teil seiner selbst verloren hat (er hat nämlich keine Hand mehr). Hook, der einzige Erwachsene, der etwas zu melden hat, ist kein ganzer Mann mehr. Er musste einen Teil seiner selbst an ein Krokodil mit einer Uhr im Magen abgeben: An den Drachen, der mit der Zeit im Bunde steht und unaufhörlich nach den Menschen schnappt. Die Zeit, die hinter jeder Ecke lauert und schon einen Teil von uns geschluckt hat, schreckt Peter Pan davor ab, auch erwachsen zu werden.
(Diese Auslegung ist mir übrigens nicht selbst eingefallen. Ich berufe mich hier hauptsächlich auf ein großartiges Video von Jordan Peterson. Es lohnt, sich das anzuschauen: https://www.youtube.com/watch?v=JjfClL6nogo)
Aller Anfang ist gar nicht so schwer.
Ein weiterer Punkt, den man nicht vernachlässigen sollte, ist, dass uns in Wahrheit oft nicht die anfängliche Anstrengung bei einer Sache im Weg steht, sondern die Monotonie des täglichen Trainings. Die meisten von uns probieren gerne neue Dinge aus. Man bläst gerne mal in ein neues Instrument, oder beginnt mit einer neuen Sportart. Was aber die Spitzenathleten von den Allerwelts-Turnern unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie mit der Monotonie des täglichen Trainings besser umgehen können.
Mein Posaunenlehrer hat mir einmal von seinem Treffen mit dem Schwimmer Markus Rogan erzählt. Die beiden besuchen nämlich zufällig denselben Fitnessclub und einmal wollte mein Lehrer nach seinem Training noch ein paar Runden schwimmen und da konnte er beobachten, wie der österreichische Olympionike sich auf den Start vorbereitete. Rogan sprang immer und immer wieder ins Wasser. Er sprang hinein, nur um dann gleich wieder herauszukommen, sich wieder auf das Sprungbrett zu stellen und nochmal hineinzuspringen. Ein und aus und ein und aus. Es ging um die Wiederholung eines kleinen Ablaufes, um das Optimieren einer winzigen Bewegung, von der er sich einen entschiedenen Vorteil für seine Fähigkeiten erhoffte.
James Clear schreibt in seinem Buch Atomic Habits ebenfalls über die Kraft der Wiederholung und der winzigen Verbesserung. Das Buch ist übrigens sehr zu empfehlen. Seit ich es gelesen habe, mache ich jeden Morgen eine kleine Yogaübung und ich habe mich mittlerweile sogar schon ein bisschen daran gewöhnt. Clear schreibt in seinem Buch ebenfalls, dass die Spreu sich vom Weizen trennt, sobald es darum geht, einfach immer wieder und wieder dieselben Abläufe zu üben und zu verinnerlichen.
Hier ein Link zum Buch. Die Hörbuchversion, die vom Autor selbst gelesen wird, ist absolut empfehlenswert:
Die Kraft des Verzichts.
Welchen Schluss sollen wir also aus diesen Betrachtungen ziehen? Soll ich mich auf eine Sache konzentrieren, wenn ich etwas erreichen will? Habe ich nicht auch Spaß dabei, wie eine Biene von einer Blume zur anderen zu fliegen und meine Pollen überall zu sammeln? Ich glaube, man sollte manchmal seine täglichen Aktivitäten mit einer Fastenmentalität angehen und für eine gewisse Zeit auf gewisse Aktivitäten verzichten, um zu merken, welchen Einfluss diese Aktivitäten eigentlich auf unseren Alltag haben. Wie beim Fasten, kann es sein, dass wir uns nach dem Verzicht auf etwas wieder besonders darauf freuen, oder umgekehrt merken, dass wir eigentlich ganz gut mit dem Verzicht ausgekommen sind.
Ich werde jedenfalls versuchen, ein paar Dinge in meinem Leben einmal für einige Zeit aufs Abstellgleis zu verlegen. Das sie dort liegen, heißt ja dann noch lange nicht, dass sie für immer dort liegenbleiben müssen.
Geht es euch Hans Dampfen da draußen auch besser, wenn ihr etwas Neues probiert? Schreibt mir gerne in die Kommentare, ob ihr glaubt, dass Einschränkungen einen Gewinn bringen, oder ob es besser ist, sich mit ausgebreiteten Armen in das Bällebad der Möglichkeiten unserer Welt zu werfen.
P.S.: Wenn euch bei diesem Text der Work-Live-Balance-Aspekt abgeht, dann deshalb, weil ich mich entschlossen habe, noch einmal einen eigenen Text über dieses große Thema zu schreiben. Ich werde ihn zu gegebener Zeit auch hier verlinken.
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