Unterricht in Zeiten von Corona.
- alrasumofsky
- 7. Feb. 2021
- 7 Min. Lesezeit
Frustration und Unverständnis; seelisches Auskotzen eines Junglehrers.
Nachdem die Schule ja morgen in Teilen Österreichs wieder startet, wollte ich euch in diesem Blogpost an meinen Gedanken über die momentane Situation teilhaben lassen. Wie einige LeserInnen des Blogs wissen, verdiene ich mein Brot als Lehrer (ich werde natürlich eigentlich mit Geld bezahlt, aber das sagt man eben so). Gerade Leute, die keine Kinder haben, oder selbst nicht in der Schule arbeiten, fragen mich manchmal, wie es dort gerade so ist. Ich will ehrlich sein: beschissen.
Bevor jetzt nachfolgend die Suderei in allen Details losgeht, zuerst mal ein Disclaimer: Ich bin dankbar für meine Arbeit. Viele Menschen in Österreich wissen im Moment nicht, woher sie ihr nächstes Gehalt bekommen werden. Gerade in unsicheren Zeiten ist es ein unglaubliches Privileg, in einem staatlichen Betrieb zu arbeiten und wenn nicht der gesamte Staat zusammenbricht, kann ich mir ziemlich sicher sein, dass ich nächsten Monat ein Gehalt bekommen werde.
Nachdem ich diesen Absatz der Dankbarkeit losgeworden bin, lasset das Auskotzen beginnen:
Zuerst einmal der gesundheitliche Aspekt. Ich bin relativ jung (28) und auch wenn die Krankheit selbst in meinem Alter bei einigen unberechenbar zu wüten scheint, ist es doch ziemlich unwahrscheinlich, dass ich an Corona sterben würde, selbst wenn ich es bekäme. Nichtsdestotrotz kam es mir unglaublich hämisch vor, als noch im Oktober von Bildungsminister Faßmann wiederholt in Pressekonferenzen skandiert wurde - „Die Schule ist ein sicherer Ort“. Immer wieder hörte man diesen Satz: „Die Schule ist ein sicherer Ort.“ Während sich in Zeitungen Experten darüber stritten, ob denn Kinder nun ansteckend oder gar gefährdet seien, waren KollegInnen wochenlang mit Corona im Krankenstand. Ein Schelm wer denkt, sie hätten es sich in der Klasse geholt, wo in derselben Woche mehrere Kinder positiv getestet wurden.
Dabei war die Frage nach der Gesundheit der LehrerInnen eigentlich nie zentral. Man musste schon nach den Artikeln suchen, die sich damit beschäftigten, während man vonseiten der Regierung nur immer wieder hörte: „Die Schule ist ein sicherer Ort.“ Natürlich wurde dieser Satz dann übernommen und immer öfter hörte man das Argument: in der Schule gibt es keine Ansteckungen. Kinder übertragen das Virus nicht. Wenn man sich als LehrerIn in der Schule ansteckt, dann nur bei KollegInnen. All das ließ mein Hausverstand irgendwie nicht in meinen Kopf hinein und es scheint sich auch zu bestätigen, dass Kinder zwar selten überhaupt Symptome entwickeln, aber trotzdem an Corona erkranken können. Durch die asymptomatische Übertragung sind sie zudem natürlich zu unvorsichtigem Verhalten verleitet. Dazu kam die Tatsache, dass wir weiterhin in Klassenzimmern standen, die wie zuvor mit 25 und mehr Kindern vollgesteckt waren (außer im Schichtbetrieb!).
All das hätte ich als Berufsrisiko gut vertragen können. Hätte es geheißen: „Wir sind den LehrerInnen dankbar für ihren Einsatz und wissen das gesundheitliche Risiko zu schätzen, das sie eingehen“, ich hätte vielleicht ein bisschen gejammert, aber wenigstens hätte ich mich wertgeschätzt gefühlt. Doch es hieß nur: (Say it with me!!!) „Die Schule ist ein sicherer Ort.“
Es war dieselbe Masche wie mit den Masken zu Beginn der Pandemie. Damals hatte man ja den Leuten gesagt, Masken wären unter Umständen sogar schädlich, wenn man sich nicht darauf verstünde, sie richtig anzulegen. Man wollte die wenigen vorhandenen Masken für das medizinische Personal haben und entschloss sich dafür, das Volk für dumm zu verkaufen. Dasselbe tat man mit den Kindern. Man wollte die Kinder wieder in die Schulen bekommen und deshalb sagte man den Leuten, dass kein Grund zur Panik bestünde und die Leute, die ihre Bälger im Homeoffice sowieso nicht mehr anschauen konnten, waren froh über dieses Argument und akzeptierten es.
Dazu kam die defacto nicht vorhandene Kommunikation zwischen Schulen und Unterrichtsministerium. Ein Kommentar aus dem Standardforum ging in diesem Zusammenhang durchs Internet:

Es fasste den Frust an der Situation perfekt zusammen. Der Herr Minister sagte darauf in einer der unzähligen Pressekonferenzen sinngemäß, er sähe kein Problem und es mache keinen Unterschied, ob eine Information aus der Presse käme oder zum Beispiel aus einer Dienstmail. Doch manche Nachrichten will man von bestimmten Personen erhalten. Aus demselben Grund wollen wir von unseren Partnern hören, wenn es Probleme in der Beziehung gibt und es nicht erst in einem Video auf Pornhub erfahren. Es wäre ein Leichtes gewesen, wenigstens symbolisch zuerst die DirektorInnen zu verständigen, doch stattdessen trat Faßmann mit dem Grinsen eines selbstsicheren Zweijährigen, der gerade seine Hose bis an den Rand vollgeschissen hatte, vor die Kameras und verkündete vor allen das, worüber die Presse schon seit zwei Tagen Vermutungen aufstellte… und die Schulen mussten springen.
Während der Herr Minister stolz verkündete, es gäbe für jeden eine FFP2 Maske, waren dieselben bei weitem nicht ausreichend in den Schulen vorhanden. Die Testkitts, die an die Schulen verteilt wurden und von denen es zuerst hieß, die Kinder würden die Möglichkeit haben, sich zuhause zu testen, kamen mit jeweils 2 Fläschchen Reaktionsflüssigkeit… Wie sollen sich 25 Kinder in 25 Haushalten an einem Nachmittag mit 2 Fläschchen Reaktionsflüssigkeit selbst testen? (Vielleicht die wundersame Vermehrung der 2 Fläschchen durch den heiligen Sebastian?). Dazu kam, dass man – von einer Impfpflicht ganz zu schweigen – nicht einmal eine Pflicht zum Testen der Kinder verlangen konnte. Wovor fürchteten sich die Eltern und PolitikerInnen? Würde einzelnen Kindern die Nase abfallen? Würden unüberwindbare Traumata für die armen Kinder entstehen, beim Anblick des Nasenstäbchens? Oder würde Bill Gates versuchen, uns jetzt über Nasenabstriche zu chippen? Diesbezüglich kann ich nur Vermutungen anstellen, denn wie immer wurde diese Unschärfe einfach auf die Schulen abgewälzt und es blieb an ihnen, eine Lösung zu finden, wie dann im konkreten Fall mit den Testverweigerern umzugehen sei. (Nach jetzigem Stand dürfen sie nicht in die Schule, aber wie diese selektive Aufhebung der Schulpflicht funktionieren soll, ist mir auch nicht klar).
Kommen wir zum zweiten Punkt: die „heiligen Kinder“. Ich mag Kinder. Ich schicke das gleich vorweg. Aber manchmal verabschiedet sich das Hirn aus dem Kopf von Pubertierenden, fliegt davon und kehrt erst wieder nach den schwierigen Jahren zwischen 12 und 18 zurück. In der Zwischenzeit werden sie zu kleinen Biestern. Am Beginn des Homeschoolings schien dies den Eltern noch bewusst zu sein. Immer wieder hörte man, wie Leute über ihre eigenen Kinder klagten und es schien beinahe sowas wie ein Bewusstsein in der Bevölkerung aufgekommen zu sein, dass die „Kids“ vielleicht doch nicht immer solche Engel sind, wie uns oft erzählt wird.
Hier einige Beispiele: Am ersten Tag nach dem Lockdown im Frühjahr kam ein Team des ORF in unsere Schule (es könnte aber auch ein anderer Lockdown gewesen sein, es waren inzwischen zu viele und ich habe im Fegefeuer, das diese Coronaschulzeit war, ganz den Überblick über Präsenzunterricht und Homeschooling verloren). Die Kinder einer schwierigen Klasse begrüßten sich nach dieser Zeit mit einer ordentlichen „Fetzerei“ am Gang, während die Direktorin im Erdgeschoss ein Interview über die neuen Abstandsregeln gab. Ein Freund, der in einer anderen Schule unterrichtet, erzählte mir davon, dass die Kinder sich gegenseitig in den Mund hauchten, um LehrerInnen aus der Reserve zu locken. In der oben erwähnten Prüglerklasse wurde ich selbst mit dem Ausspruch: „Corona gibt es gar nicht, Herr Professor“ konfrontiert. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um diese Aussage nicht zu kommentieren. Es war klar, dass dieses Kind diese Meinung von seinen Eltern mitbekommen hatte. Womöglich hätten die Eltern eine Antwort meinerseits als politische Indoktrinierung aufgefasst, was uns ja als Lehrpersonen strengstens verboten ist (zurecht!!!).
Im Onlineunterricht ist es nicht besser. Dort klinken sich die Kinder aus und man hält einen Monolog vor schwarzen Kästchen, oder spricht immer wieder mit denselben drei fleißigen SchülerInnen. Gibt man dann andere Auftragsformen, muss man damit rechnen, dass das Internet „zusammenbricht“, oder die Kamera immer im entscheidenden Moment versagt. Und vor dem Schimpfen mit SchülerInnen sollte man sich besonders in Acht nehmen, denn wer weiß, was hinter dem schwarzen Kästchen lauert. Man hört von Mathematikstunden, bei denen plötzlich die Stimmen der Eltern aus dem Off dazukommen, oder von Gesprächsprotokollen, die plötzlich nach einer Stunde auftauchen. Man denke außerdem an den Lehrer, der zu Beginn der Coronazeit durch seine Unkenntnisse bei MS-Teams von den SchülerInnen immer wieder aus der Sitzung geworfen wurde und sich zu einer Schimpftirade hinreißen ließ, die prompt gefilmt wurde.
Vieles von dem oben genannten kann ich verstehen. Onlineunterricht ist furchtbar! Ich erlebe selbst in Seminaren an der Uni immer wieder, dass ich, trotz vorhandenem Willen zur Mitarbeit, irgendwann nicht mehr kann. Sobald sich mir die Gelegenheit bietet, klinke ich mich aus. Ich will ein schwarzes Kästchen sein, warum sollen meine SchülerInnen das nicht auch wollen dürfen? Und es ist auch gar nicht so sehr das Problem, dass sie sich ausklinken, sondern dass man das Gefühl bekommt, es wären immer dieselben und sie hielten einen für zu dumm, um ihnen auf die Schliche zu kommen.
Manchmal komme ich mir vor, als wären wir alle im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Ich will erklären warum, denn hiermit sind wir beim dritten Punkt und der Sinnhaftigkeit der Übung angelangt, an der ich immer mehr zu zweifeln beginne. Wir alle scheinen ein Spiel zu spielen, das an Absurdität nicht zu überbieten ist. Wir müssen versuchen, Inhalte zu vermitteln, an die sich die Kinder nach einem Jahr nicht mal mehr im Entferntesten erinnern können und gleichzeitig wird immer klarer, dass es den Eltern und der Politik, den Kindern und dem Großteil der Lehrerschaft nicht darum geht, dass hier irgendwer irgendwas lernt, sondern nur um die Aufbewahrung der Kinder, damit die Eltern ihrem Beruf nachgehen können und der Staat die Steuern der Eltern kassieren kann. Der Kaiser ist nackt! Niemand soll etwas lernen, man soll nur auf die Kinder aufpassen und die Zentralmatura ist nur ein inflationäres Dokument, das zum Schein der Legitimation des Systems dient und noch den dümmsten Kindern nachgeworfen wird. Alle wissen es, aber warum müssen wir dann überhaupt noch so tun, als träge der Kaiser Kleider? Der Kaiser ist nackt!
Sicher, ich kann mich an inspirierende Stunden erinnern, in denen ich dachte, ich hätte jemandem etwas vermittelt, oder umgekehrt, an meine eigene Schulzeit und Momente, in denen ich etwas gelernt habe, aber jenseits von Lesen und Schreiben… wo war da manchmal der Sinn der vergeudeten Zeit in der Schule?
Vielleicht spricht die Müdigkeit der ersten Dienstjahre aus mir, die einige VeteranInnen aus dem Lehrkörper als Tal der Tränen bezeichnen. Vielleicht ist es die Situation, aber es bleibt beschissen. Gestern erst habe ich mit einem jungen Kollegen gesprochen, der mir zuerst die Frage gestellt hat: „Und? Planst du schon deinen Ausstieg?“ und ich wusste nicht, was ich darauf hätte sagen sollen.
Eure Gedanken zu diesem Thema würden mich sehr interessieren. Falls ihr etwas zu sagen habt, gerne in die Kommentare!
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